Aschenputtel wird erwachsen

Saarbrücken. Nein, diese Cinderella ist nicht unschuldig und naiv. Vor allem wehrt sie sich dagegen, fremdbestimmt zu sein. Ihrem Prinzen knallt sie zum Schluss den Schuh vor die Füße, weil der sich fast mit ihren Stiefschwestern eingelassen hätte

 Stijn Celis bei der Probenarbeit in Saarbrücken. Foto: Bettina Stöß

Stijn Celis bei der Probenarbeit in Saarbrücken. Foto: Bettina Stöß

Saarbrücken. Nein, diese Cinderella ist nicht unschuldig und naiv. Vor allem wehrt sie sich dagegen, fremdbestimmt zu sein. Ihrem Prinzen knallt sie zum Schluss den Schuh vor die Füße, weil der sich fast mit ihren Stiefschwestern eingelassen hätte. Klar träumt das junge Ding von der romantischen Liebe, aber ihre schlechten Erfahrungen im lieblosen Haushalt der Stiefmutter haben sie willensstark gemacht. "Diese Cinderella entdeckt ihre eigenen Stärken, gerade weil ihr Schlimmes widerfährt", erklärt Stijn Celis. So muss man sich sein Aschenputtel (getanzt von Lilliana Barros) denn auch nicht als verhuscht-naives Mädchen vorstellen, sondern als eine junge Frau, die erste Erfahrungen mit ihrer Sexualität macht, sich verliebt und unbeirrt ihren eigenen Weg sucht und geht.Stijn Celis (47) zeigt am Samstag bereits seine dritte Version des Aschenputtel-Märchens. 1999 habe er das Ballett schon einmal ganz klassisch inszeniert. Die abendfüllende Saarbrücker Aufführung entstand auf der Grundlage einer einstündigen Kurz-Version, die er 2011 für die Probebühne der Dresdner Semperoper choreografierte. Sechs Wochen lang habe er insgesamt mit der Donlon Dance Company gearbeitet, erzählt Celis, der die intensive Arbeitsatmosphäre lobt.

Doch warum immer wieder Cinderella? "Ich kenne jede Note dieses Prokofiew-Balletts, habe es selbst mehrmals getanzt", sagt Stijn Celis. Außerdem fasziniere ihn der Aschenputtel-Märchenstoff seit seiner Kindheit, denn es gehe essenziell um Selbstfindung und Reifung. Damit bleibt der Stoff immer aktuell, ein Klassiker eben - schon oftmals neu adaptiert seit seiner Uraufführung am Bolshoi-Theater 1945.

Was nun ist das Besondere an Celis' Version? Zum Einen die Besetzung: Die Rolle der Stiefmutter und der beiden Stiefschwestern ist mit Tänzern besetzt. "Der Stiefmutter fehlt die mütterliche Wärme, sie hat ebenso wie die Stiefschwestern keinen Zugang zu ihrer Weiblichkeit. Cinderella kann sich weder mit ihr, noch mit ihren Stiefschwestern identifizieren", sagt Celis. Insofern seien diese Figuren, die auch für die Lacher des Abends sorgen, nicht nur Karikaturen, über die man sich amüsieren kann, wenn sie mit schweren Schuhen über die Bühne stolpern, sondern auch tragische Charaktere, die an ihrer eigenen Missgunst scheitern. Die sinnliche, empathische Cinderella kontrastiert auf der Bühne mit der männlichen Derbheit ihrer Stieffamilie.

Zum Anderen schwirren bis zu sechs Cinderellas in roten Kleidern über die Bühne. Der Prinz muss die Richtige unter all diesen Doppelgängerinnen finden. Das Happy End ist eher impulsiv denn romantisch. Denn wir haben es bei diesem Aschenputtel mit einer jungen Frau zu tun, die nicht auf ihren Prinzen als ihren Erlöser wartet, sondern das Heft des Handels in der Hand behält. Schließlich erkundet Celis tänzerisch die Sphäre der Träume, in die sich Cinderella immer wieder vor der harten Realität ihres Küchendienstes flüchtet.

Premiere am Samstag (19.30 Uhr). Karten: (06 81) 30 92 486.

Auf einen Blick

Bevor Stijn Celis seine Laufbahn als Choreograf und Bühnenbildner begann, tanzte er unter anderem im Royal Ballet of Flanders, im Zürich Ballett und im Genfer Ballet du Grand Théâtre. 2004 bis 2007 war er künstlerischer Direktor des Berner Balletts. Er arbeitete als freier Choreograf etwa mit den Grands Ballets Canadiens de Montréal, der Netherlands Dance Company, dem Ballett Mainz und dem Essener Aalto Ballett. red

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort