Wirbel um Stahl-Nebengeschäfte

Saarbrücken · Die Gründung einer Versicherungsvermittlung durch Michael Müller und die Nähe dieser Firma zur saarländischen Stahlindustrie wirbelt Staub auf. Müller ist der wohl mächtigste Mann der Stahlszene an der Saar.

 Der Anwalt Michael Müller, einer der mächtigsten Akteure der saarländischen Stahlindustrie, wehrt sich gegen Vorwürfe. Foto: Oliver Dietze

Der Anwalt Michael Müller, einer der mächtigsten Akteure der saarländischen Stahlindustrie, wehrt sich gegen Vorwürfe. Foto: Oliver Dietze

Foto: Oliver Dietze

In der saarländischen Stahlindustrie kommt es offenbar vor, dass sich leitende Mitarbeiter lukrative Nebengeschäfte aufbauen und sie betreiben dürfen. So wurde dem damaligen Saarstahl-Versicherungsmanager Axel Frank in den 1990er Jahren von seinen Vorgesetzten erlaubt, eine private Versicherungsgesellschaft zu gründen - die Risk Assekuranz Kontor (SZ vom 14. Mai 2014). Unternehmensgegenstand ist bis dato die Vermittlung von Versicherungen.

Offenbar sollte diese Sache jedoch nicht an die große saarländische Glocke gehängt werden. Denn die Risk Assekuranz wurde seinerzeit nicht an der Saar, sondern in Weinheim bei Mannheim ins Leben gerufen - und zwar am 31. August 1995, wie im Handelsregister des Amtsgericht Saarbrücken dokumentiert ist. Erst am 11. August 1997 beschloss die Gesellschafterversammlung, den Sitz nach Saarbrücken zu verlegen.

Erster Gesellschafter der Risk Assekuranz war der Saarbrücker Rechtsanwalt Michael Müller , wie das Amtsgericht bestätigte. Nach und nach wurden die Gesellschafter-Anteile von Müller auf Frank übertragen. Erst 2006 war Müller ganz raus aus der Risk Assekuranz. Heute gehört sie Axel und Sohn Eric Frank, die beide auch Geschäftsführer sind.

Michael Müller ist in der saarländischen Stahlindustrie nicht irgendwer. Er ist Vorsitzender der Geschäftsführung der Stahl-Holding-Saar (SHS), der Holding der Dillinger Hütte und der Saarstahl AG. Außerdem ist er Aufsichtsratsvorsitzender der beiden Stahlkonzerne und steht dem Kuratorium der Montan-Stiftung-Saar vor, der Obergesellschaft der SHS.

Müller teilte unserer Zeitung auf Anfrage schriftlich mit, dass er seinerzeit in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt mit der Gründung der Risk Assekuranz beauftragt worden sei. Eine Begründung für dieses ungewöhnliche Vorgehen wollte Müller nicht nennen. "Der gesamte Themenkomplex unterliegt daher auch nach mehr als 20 Jahren der anwaltlichen Schweigepflicht." Die Dividendenerträge aus Müllers Zeit als Gesellschafter der Risk Assekuranz seien vollumfänglich an den Auftraggeber geflossen. Müllers Anwaltskanzlei und die Risk Assekuranz haben mit der Beethovenstraße 13 in Saarbrücken übrigens dieselbe Adresse. Es gebe allerdings "keine irgendwie geartete Bürogemeinschaft", so der Anwalt.

Die saarländischen Stahlunternehmen betreiben schon lange mit eigenen Gesellschaften Versicherungsgeschäfte. Darüber sichern sie Schadensfälle für ihre Industrie-Anlagen ab, boten aber auch Mitarbeitern private Versicherungen an. Sie fungierten dabei als Makler. Im Jahr 2011 wurde die "Versicherungskontor Saarstahl" und die "Versicherungsvermittlung Dillinger Hütte Saarstahl" in einer neuen Gesellschaft - der "SHS Versicherungskontor" - zusammengefasst. Deren Geschäftsführer war bis zum 28. Februar 2014 Axel Frank. Am 1. März 2014 wurde für das Unternehmen ein Beirat ins Leben gerufen. Diesem gehören neben Axel Frank auch Müller und Fred Metzken an, Finanzvorstand der Dillinger Hütte und der Saarstahl AG.

Als Axel Frank Mitte der 1990er Jahre von seinen Vorgesetzten die Erlaubnis erhielt, die Risk Assekuranz als Privatgeschäft aufzubauen, durfte er das nur "unter der Maßgabe der strikten Trennung beider Geschäfte" tun, so eine Sprecherin der SHS. Dies sei bis heute so.

Eine heute 87-Jährige, die einst eine private Haftpflichtversicherung bei der Versicherungskontor Saarstahl abgeschlossen hatte, erlebte dies anders. Das berichtet ihr Sohn, ein ehemaliger Saarstahl-Mitarbeiter, dem die Vorgänge rund um die Gründung der Risk Assekuranz keine Ruhe ließen. Er forschte weiter und fand heraus: Auf den Beitragsrechnungen seiner Mutter stand ab 2012 die Nachfolge-Gesellschaft SHS Versicherungskontor auf dem Briefkopf. Erst ab 2014 war es dann die Risk Assekuranz, die offenbar seit Mitte der 90er Jahre die Geschäfte veranwortete. In einem Schreiben von Anfang Juni 2015 teilte diese der Dame mit, "dass wir als offizieller Vermittler im Rahmen der privaten Belegschaftsversicherungen für Mitarbeiter der Saarstahl AG und der Dillinger Hütte Ihr kompetenter Gesprächspartner in allen Versicherungsangelegenheiten sind". Verwundert fragte sie in mehreren Schreiben unter anderem nach, "woher und seit wann Sie meine Kontaktdaten haben" und "auf welcher Grundlage meine Kontaktdaten gespeichert wurden". Vier Wochen später schrieb die SHS Versicherungskontor zurück, "dass bereits Mitte der 90er Jahre die Betreuung des konzernfremden Drittgeschäfts inklusive der Privatversicherungen von Belegschaftsmitgliedern und sonstigen Dritten durch die Firma Risk Assekuranz erfolgt".

Inzwischen liegt der Vorgang als "Anzeige gegen Unbekannt" beim Unabhängigen Datenschutzzentrum Saarland - und zwar "wegen der nicht mit meiner Person abgestimmten Verschiebung meiner Daten und Versicherungsbetreuung von der Saarstahl Versicherungskontor zur Risk Assekuranz mit dem Ziel der Umleitung von Provisionsleistungen des Versicherers". Das Datenschutzzentrum kann unserer Zeitung zum "gegenwärtigen Zeitpunkt keine näheren Informationen zum Verfahrensstand zukommen lassen". Es handele sich um ein "laufendes, noch nicht abgeschlossenes Verfahren".

Für die Police selbst ist die HDI-Versicherung zuständig. Eine Sprecherin des HDI konnte von ihrer Warte aus nichts Bedenkliches an dem Datentransfer finden. Sie teilte mit, dass "SHS Versicherungskontor beziehungsweise Risk Assekuranz Kontor nicht unsere Kunden sind, sondern unsere Vertriebspartner". Beide Makler würden die Voraussetzungen zur Zusammenarbeit mit dem HDI erfüllen. "Wir haben keinen Einfluss auf Bestandsübertragungen von Maklern untereinander, wie in diesem Fall", so die HDI-Sprecherin.

Der Ex-Mitarbeiter von Saarstahl hat im Dezember vergangenen Jahres die Staatsanwaltschaft Saarbrücken kontaktiert, die Vorgänge aus seiner Sicht geschildert und die Behörde gebeten, den von ihm geschilderten Sachverhalt unter allen in Betracht kommenden Aspekten zu prüfen. In einer E-Mail vom 10. Februar erklärte Presse-Staatsanwalt Christoph Rebmann nach Rücksprache mit seinem zuständigen Kollegen auf SZ-Anfrage, "dass der Vorgang geprüft wird". Vergleichbare Mitteilungen des Ex-Mitarbeiters von Saarstahl hätten in der Vergangenheit meist keinen Anfangsverdacht begründen können, "so dass Ermittlungen nicht aufgenommen wurden".

Der frühere Saarstahl-Mitarbeiter hat seine Vorwürfe wegen der Mitwirkung von Michael Müller "bei unkorrekten Vorgängen" rund um die SHS/Saarstahl Versicherungskontor und die Risk Assekuranz kürzlich noch einmal in einem Brief zusammengefasst und ihn "persönlich/vertraulich" an Mitglieder der Landesregierung, des Landtags und an Verantwortliche in der saarländischen Stahlindustrie geschickt. Rechtsanwalt Müller ist es inzwischen zu bunt. Er hat Strafanzeige "wegen übler Nachrede" erstattet. Er sei nicht mehr bereit, "derartige Lügengeschichten kommentarlos zu dulden". Der Ex-Mitarbeiter von Saarstahl weist diese Anschuldigung "mit aller Schärfe zurück". Die Risk Assekuranz wollte "sich nicht mehr äußern", ließ Geschäftsführer Eric Frank wissen.

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