Tretminen und zarte Pflänzlein

Bremen. Zwischen Christen und Muslimen in Deutschland scheint es zu sein wie unter vielen Nachbarn: Nach außen herrscht Freundlichkeit, hinter dem Rücken sieht es anders aus. Wer es wagt, sich in die Angelegenheiten des anderen einzumischen, zieht Zorn auf sich. Die Aberkennung des Hessischen Kulturpreises für den muslimischen Publizisten Navid Kermani ist das jüngste Beispiel hierfür

Bremen. Zwischen Christen und Muslimen in Deutschland scheint es zu sein wie unter vielen Nachbarn: Nach außen herrscht Freundlichkeit, hinter dem Rücken sieht es anders aus. Wer es wagt, sich in die Angelegenheiten des anderen einzumischen, zieht Zorn auf sich. Die Aberkennung des Hessischen Kulturpreises für den muslimischen Publizisten Navid Kermani ist das jüngste Beispiel hierfür. Sein "Vergehen": Er hatte gegen die christliche Kreuzes-Theologie Widerwillen artikuliert. Ein Muslim operiert am Herzen des christlichen Glaubens! Die Reflexe von Kardinal Karl Lehmann und dem früheren Kirchenpräsidenten der Landeskirche von Hessen und Nassau, Peter Steinacker, waren eindeutig. Wer den christlichen Glauben in die Nähe von Pornografie und Gotteslästerung stellt, mit dem möchte man nicht einen Preis ausgerechnet für Verdienste um den interreligiösen Dialog teilen. Nach Einschätzung der Bremer Religionswissenschaftlerin Gritt Klinkhammer gibt es auf der höheren Ebene des Dialogs immer wieder "Abgrenzungstendenzen vor allem von christlicher Seite". Die jeweiligen Repräsentanten wollten das eigene Profil schärfen, sagte sie am Rande des Kirchentags. "Muslime haben im Dialog meist das Empfinden, nichts verlieren, sondern nur gewinnen zu können." Dagegen hätten die christlichen Kirchen die Sorge, im Dialog "nichts gewinnen zu können und die Minderheit der Muslime im eigenen Land aufzuwerten". Anders als in der Führung scheinen an der Basis Fortschritte und ein unverkrampfteres Miteinander möglich zu sein. "Der Kontakt mit Muslimen wird von Mal zu Mal intensiver und ist insgesamt unproblematisch", resümiert Silke Lechner, die für den christlich-muslimischen Programmbereich auf dem Kirchentag verantwortlich ist. Als Belastung für die Basisarbeit hat laut Lechner lange Zeit der Text "Klarheit und gute Nachbarschaft" der Evangelischen Kirche in Deutschland von 2006 nachgewirkt, der Muslimen unter anderem ein Bekenntnis zu den Grundwerten des Grundgesetzes einschließlich Gleichheit der Frau und Religionsfreiheit abverlangt. Muslimische Verbände fühlten den Islam in eine falsche Ecke gedrängt. Auf katholischer Seite hatte die missverstandene Regensburger Rede des Papstes wie eine Tretmine gewirkt. Ein Zitat aus dem Mittelalter über den Propheten Mohammed reichte aus, um die islamische Welt zu erzürnen. Dabei lautete die Botschaft, dass Glaube und Vernunft zusammengehören und Gewaltanwendung im Namen Gottes ein Missbrauch von Religion ist - Positionen, die die meisten Muslime teilen. Inzwischen ist der internationale Dialog vorangekommen, zarte Pflänzlein wachsen. Hans Küng, Theologe und Präsident der Stiftung Weltethos der Religionen, verweist darauf, dass selbst Saudi-Arabien die Notwendigkeit des Dialogs anerkennt. Laut Peter Hünseler, Leiter der Arbeitsstelle der Deutschen Bischofskonferenz für den christlich-muslimischen Dialog, hat der offen geführte Dialog zwei Ziele: Das gegenseitige Wissen um den Glauben des anderen und das Gespräch über das Zusammenleben in Deutschland im Rahmen des Grundgesetzes. Den Umgang mit Kermani findet Hünseler unmöglich. Friedrich Schorlemmer, Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels, hat für die Muslime auch eine unbequeme Botschaft: Der Islam habe die Aufklärung noch vor sich.

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