Künstliches Licht bringt uns um den Schlaf

Saarbrücken · Immer wenn Ende Oktober die Uhren auf Winterzeit umgestellt werden, wird es uns mal wieder bewusst: Unsere Körperfunktionen und unser Wohlbefinden unterliegen Rhythmen, die mit Licht und Dunkel zu tun haben und die, wenn sie durcheinander geraten, ganz schön unangenehm sein können.

 Sogenannte Blueblocker-Brillen filtern das Blau aus künstlichen Lichtquellen heraus. Foto: np

Sogenannte Blueblocker-Brillen filtern das Blau aus künstlichen Lichtquellen heraus. Foto: np

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Auch wenn nicht jeder unter der Zeitumstellung leidet, so braucht man dennoch meist ein paar Tage, bis alles wieder rund läuft und das Zeitgefühl wieder stimmt.

Warum ist das so? Tagtäglich und rund um die Uhr muss unser Körper wahre Wunder vollbringen. Damit er reibungslos funktionieren kann, müssen zehn Billionen Zellen zu jeder Sekunde wissen, was zu tun ist. Dazu haben sie alle innere Uhren , die jedoch miteinander koordiniert werden müssen. Genau dazu brauchen wir Licht und Dunkelheit. Praktisch alle unsere Körperfunktionen unterliegen einem Tag-Nacht-Rhythmus: das Wachsen und Lernen, die Wundheilung und das Schmerzempfinden, die Hormonausschüttung, der Bewegungsdrang und die Nahrungsaufnahme.

Mit unseren Augen können wir nicht nur sehen. Auf einer speziellen Nervenbahn gelangen auch Lichtinformationen tief ins Gehirn zum Hypothalamus, der eine nur reiskorngroße Struktur beherbergt, unsere zentrale innere Uhr. Diese fungiert wie der Taktstock im Orchester der Zellen und Organe und synchronisiert deren Uhrwerke mit dem 24-stündigen Erdentag. Doch dafür muss sie allmorgendlich mit Hilfe des Tageslichts neu gestellt werden.

Der natürliche Wechsel von Licht und Dunkel, von Kälte und Wärme auf dieser Erde steuert nicht nur die Blüh- und Reifezeit von Pflanzen und die Fruchtbarkeitszyklen der Tiere, auch wir Menschen sind ein Produkt der Evolution auf diesem Planeten. Auch wir werden von den Rhythmen der Natur getaktet. Technikfreaks und Nachtschwärmer mögen das nicht gerne hören. Was aber nichts daran ändert, dass dieses System seit Äonen bewährt ist und auch dann greift, wenn man ihm keine Aufmerksamkeit schenkt.

So fanden Dr. Detlev Arendt und sein Team vom Europäischen Labor für Molekularbiologie in Heidelberg kürzlich an Würmern heraus, dass es so etwas wie den Schlaf und das ihn auslösende Hormon Melatonin schon seit 700 Millionen Jahren gibt. Melatonin wird während der Dunkelheit gebildet, auch im menschlichen Körper. Doch heute bekommt der Mensch nachts statt Dunkelheit immer mehr Kunstlicht ab. So ist der Nachthimmel über vielen Städten bereits so hell, dass selbst der Nordstern nicht mehr zu sehen ist. Das beeinträchtigt nicht nur Vögel und Insekten , es stört auch die menschliche Biologie. Immer mehr Zeitgenossen klagen über Schlafstörungen. Sowohl das Risiko für Übergewicht als auch für Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen steige mit sinkender Schlafqualität, schreibt der Ernährungswissenschaftler Professor Dr. Nicolai Worm in seinem Buch "Die Schlafmangel-Fett-Falle."

Der Mangel an Dunkelheit betrifft längst nicht nur Schichtarbeiter. Mittlerweile nutzen neun von zehn Amerikanern in ihrem Schlafzimmer in der Stunde, bevor sie schlafen wollen, ein elektronisches Gerät. Die Älteren eher einen Fernseher, die jüngeren eher PCs, Tablets, E-Book-Reader und Smartphones , wie der Schlafmediziner Professor Dr. Charles Czeisler und sein Team von der Harvard Medical School in Boston ermittelt haben. Vor allem junge Menschen haben ihr Handy die ganze Nacht über neben sich und werden nicht selten von eingehenden Nachrichten geweckt, auch bei uns.

Praktisch alle diese Geräte senden Licht aus, noch dazu eines, dass in der Natur am Abend und in der Nacht gar nicht vorkommt. Es enthält hohe Blauanteile, auch wenn wir es als weiß wahrnehmen. Das gilt auch für viele LED-Lampen, die immer häufiger nachts unsere Innenräume erhellen. Der blaue Anteil des sichtbaren Lichts ist sehr wirksam. Man kann damit Insekten killen, Neugeborenengelbsucht heilen und die mentale Leistungsfähigkeit steigern, wie Dr. Siegfried Lehrl von der Abteilung Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Erlangen mit seinem Team herausfand.

Blaues Licht macht wach und agil. Doch alles zu seiner Zeit. Die Sonne schickt es uns vor allem am Morgen. Dank der modernen Technik trifft blaues Licht jedoch immer häufiger abends und nachts auf unsere Augen. Und dann wirkt es aus gesundheitlicher Sicht kontraproduktiv. Es verzögert das Einschlafen und verringert die besonders erholsamen Schlafphasen. Dem folgt eine größere Müdigkeit und verminderte Wachheit am folgenden Morgen. Zu diesem Ergebnis kamen Professor Dr. Anne-Marie Chang und ihr Team aus Schlafforschern der Universitäten Boston und Köln, nachdem sie gesunde Freiwillige über mehrere Tage vor dem Schlafengehen ein Buch lesen ließen, entweder die Printausgabe bei Dämmerlicht oder das gleiche Werk als E-Book auf einem elektronischen Reader. Es fanden sich die genannten signifikanten Unterschiede des Schlafverlaufs und der Schlafqualität. Das kann langfristig spürbare Auswirkungen haben, nicht nur auf das Wohlbefinden. Denn blaues Licht unterdrückt am effektivsten die nächtliche Bildung des Schlafhormons Melatonin. Melatonin macht aber nicht nur müde und lässt uns gut schlummern, es ist zudem eines der stärksten körpereigenen Antioxidantien und daher wichtig für den Schutz aller Zellen. Ein Mangel an Melatonin wird als eine Ursache für das höhere Krebsrisiko von Nachtarbeitern diskutiert. Ganz offensichtlich stört das falsche Licht zur falschen Zeit den Körper beim Gesundbleiben.(ug) Wer abends länger Licht braucht, sollte sich Lampen besorgen, die wie das Sonnenlicht am Abend eher beruhigendes Rotlicht aussenden - die gute alte Glühbirne lässt grüßen. Als weitere technische Hilfen gibt es kostenlose Computerprogramme wie etwa Flux, die den Blauanteil der Monitore herausfiltern. Oder man verwendet abends eine Blueblocker-Brille, die keine blauen Wellenlängen durchlässt. Deren Effekt konnten die Doktorandin Stéphanie van der Lely und Kollegen an der Universität Basel an 17-Jährigen zeigen, die nächtens vor Computerbildschirmen saßen. Trugen sie dabei Brillen , die blaues Licht herausfiltern, sank die Bildung des Schlafhormons Melatonin kaum ab und sie waren weniger aufgekratzt vor dem Einschlafen.

Im Fachmagazin Bipolar Disorders berichtete die Psychologin Dr. Tone Henriksen von der norwegischen Universität Bergen im letzten Jahr über einen Patienten, dessen manische Anfälle sich mit Hilfe einer Blueblocker-Brille deutlich schneller besserten als mit Medikamenten alleine.

Es ist bereits möglich, mit moderner Beschichtungs-Technologie das blaue Licht auch durch normale Brillengläser ohne Tönung teilweise zu reduzieren. Das ist besonders für Arbeitsplatzbrillen sinnvoll.

Wer nicht glauben mag, dass so ein bisschen Licht beziehungsweise Dunkel etwas bewirkt, möge es einfach mal ausprobieren: Ein Abend nur bei Kerzenschein oder mit einem Blueblocker auf der Nase lässt einen tatsächlich früher angenehm müde werden.

justgetflux.com

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