Ärzte und Apotheker warnen Angst vor atomarer Verseuchung: Was hat das mit den Jodtabletten auf sich?

Berlin/Saarbrücken · Jodtabletten sollen im Ernstfall vor einer Strahlenbelastung durch Radioaktivität schützen. Die Sorge vor einem durch Beschuss zerstörten Reaktor in der Ukraine treibt viele Menschen um – und verleitet einige sie zu Hamsterkäufen und vorbeugender Einnahme. Doch Experten warnen eindringlich.

Jod-Präparate: Viele horten jetzt aus Angst vor atomarer Verseuchung. Aber ist dies nötig?

Jod-Präparate: Viele horten jetzt aus Angst vor atomarer Verseuchung. Aber ist dies nötig?

Foto: picture alliance / dpa/Oliver Berg

Die Apothekerorganisation Abda hat vom Kauf von Jodtabletten aus Angst vor einer möglichen Strahlenbelastung durch den Ukraine-Krieg abgeraten – sie registriert aber eine „klar gestiegene“ Nachfrage bei den Präparaten. „Wir hören aus etlichen Apotheken, dass Kunden nach Jodtabletten zur Bevorratung fragen“, sagte Sprecherin Ursula Sellerberg von der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (Abda)  der Deutschen Presse-Agentur.

Sich in Deutschland nun mit Jod einzudecken, um sich vor einer vermeintlichen Belastung aus einem ukrainischen Atomkraftwerk zu schützen, sei aber „Panikmache“, betonte Sellerberg. Auch das Bundesamt für Strahlenschutz schrieb via Twitter: „Wir empfehlen es nicht, einen persönlichen Vorrat anzulegen.“

Die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker wie auch das Bundesumweltministerium raten vor einer selbstständigen Jod-Einnahme ab: Das gesundheitliche Risiko sei erheblich, während die Einnahme aktuell keinen Nutzen habe.

Wer gibt Jodtabletten aus, und was bewirken sie?

Es sei wichtig, zwischen zwei Arten von Jodpräparaten zu unterscheiden, erklärte Sellerberg: Auf der einen Seite gebe es hochdosierte Tabletten, die bei einer möglichen Havarie eines Atomkraftwerks eingenommen werden könnten. Der Bund hält fast 190 Millionen dieser hochdosierten Jodtabletten bevorratet, um diese bei Bedarf an die Bevölkerung auszugeben.

  • Sollte ein Ereignis eintreten, bei dem radioaktives Jod in der Luft zu erwarten ist, übernehmen die Katastrophenschutzbehörden die Verteilung der Tabletten in den möglicherweise betroffenen Gebieten. Die Einnahme von Jodtabletten schützt dabei ausschließlich vor der Aufnahme von radioaktivem Jod in die Schilddrüse, nicht vor der Wirkung anderer radioaktiver Stoffe.
  • Auf der anderen Seite stünden die niedrigdosierten Tabletten, die beispielsweise langfristig bei Schilddrüsenstörungen eingenommen würden und die es in jeder Apotheke gebe, so Sellerberg. Sie gab zu bedenken, dass man von diesen im Fall eines Atomunglücks theoretisch eine riesige Menge einnehmen müsse.

Was raten Experten zur Einnahme von Jodtabletten?

  • Professor Dr. Martin Schulz, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK). „Eine Selbstmedikation birgt erhebliche gesundheitliche Risiken, hat aktuell aber keinerlei Nutzen.“

Was passiert bei einem Unglück in einem Atomreaktor?

  • Bei Unfällen oder Angriffen auf Kernkraftwerke kann es zur Freisetzung von radioaktiven Stoffen kommen – darunter radioaktives Jod (chemische Bezeichnung Iod 131 oder 131I). Radioaktives Jod hat die gleichen chemischen und biologischen Eigenschaften wie das Jod in der Nahrung. Es wird in gleicher Weise in der Schilddrüse gespeichert und kann Schilddrüsenkrebs hervorrufen. Kinder sind besonders gefährdet.

Wie soll Jod helfen?

  • Durch die Einnahme von Jod in hoher Dosierung kann die Speicherung von radioaktivem Jod verhindert werden. Die Dosis für Jugendliche ab 13 Jahren beziehungsweise Erwachsenen bis 45 Jahre beträgt in der Regel einmalig 130 Milligramm Kaliumiodid, entsprechend 100 Milligramm Jod. Diese Dosierung unterscheidet sich um mehrere Zehnerpotenzen von der Dosierung zur Jodsubstitution (0,1 - 0,2 Milligramm täglich) beziehungsweise um etwa das 100- bis 1000fache der normalen täglichen Jod-Zufuhr mit der Nahrung. Eine Notfall-Einnahme von hochdosiertem Jod für Erwachsene über 45 Jahren wird nicht empfohlen.

Wie sieht die Situation zurzeit aus?

  • Derzeit gibt es in Deutschland keine rationale Begründung für die Einnahme hochdosierter Jod-Präparate auf Grund der Situation in der Ukraine, da keine Belastung durch radioaktives Jod gegeben ist. Aufgrund der Entfernung zur Ukraine ist auch nicht damit zu rechnen, dass eine Einnahme von Jodtabletten erforderlich werden könnte.
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