Stadtgeschichte, ausradiert

Alte Friedhöfe sind oft der letzte sichere Hafen für die Kultur der Städte: Während sich die Stadtbilder rasant ändern, hier Wolkenkratzer emporschießen und dort ganze Stadtviertel modernisiert werden, bleiben viele Friedhöfe unberührte Oasen, deren Grabmale nicht nur von der Kunstsinnigkeit, von der Geltungssucht, von dem Humor oder von der Macht ihrer Erbauer zeugen, sondern auch schlicht Namen

Alte Friedhöfe sind oft der letzte sichere Hafen für die Kultur der Städte: Während sich die Stadtbilder rasant ändern, hier Wolkenkratzer emporschießen und dort ganze Stadtviertel modernisiert werden, bleiben viele Friedhöfe unberührte Oasen, deren Grabmale nicht nur von der Kunstsinnigkeit, von der Geltungssucht, von dem Humor oder von der Macht ihrer Erbauer zeugen, sondern auch schlicht Namen transportieren, die auch nach Jahrhunderten noch einen Klang haben. Millionen Städte-Touristen strömen deshalb jährlich aus guten Gründen auf den Père Lachaise in Paris, sei es wegen Gilbert Becaud, sei es wegen der Mauer, an der die Kämpfer der Commune erschossen wurden, oder wegen Jim Morrison, der "Doors"-Legende. Die Fotografin Isolde Ohlbaum hat diesen großartigen Gräberfeldern mit ihren erotischen Engelsfiguren bereits vor mehr als 20 Jahren ein eigenes Denkmal gesetzt - "Denn alle Lust will Ewigkeit".

Sei es in Genua, Leipzig oder Zürich: Ein Streifzug über diese grünen Archive der Erinnerung ist einfach ein Muss für die Besucher.

Doch die Grabmale und Krypten bekommen mit den Jahren Risse, sie gehen ebenso wie die Toten unter ihnen den Weg alles Irdischen, wenn die Pflege fehlt. Und deshalb lässt sich auch am Erhalt der Gräberfelder ablesen, wie es um die jeweilige Kommune bestellt ist, in denen sie sich befinden. In Saarbrücken zum Beispiel gibt es einen Friedhof mit wunderbaren Grabmälern in St. Johann, der vor etwa 100 bis 120 Jahren in der Blüte des industriellen Wachstums zu einem Kulturdenkmal erwuchs. Die wichtigsten Persönlichkeiten der Stadt fanden hier angemessen ihre letzte Ruhestätte. Namen wie Bruch, Karcher, Heckel, Neufang, Schmoll, Knipper legen davon bis heute Zeugnis ab.

Doch wie lange noch? Denn die Stadtverwaltung ist dazu übergegangen, historische Grabstätten, die brach liegen, mit Urnen neu zu belegen. Dabei werden die ursprünglichen Namen ausradiert, auf das alte Grabmal kommt eine neue Platte. Damit bleibt zwar das Grab erhalten, aber der persönliche Bezug ist für immer verloren. So wird die Erinnerung an eigene Geschichte und Kultur getilgt. So vergisst sich bald eine ganze Stadt.

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