Die schweren Kugeln sollen Gold bringen

Peking · Die Kugelstoßer Christina Schwanitz und David Storl haben am Auftakt-Wochenende die ersten deutschen Titelchancen. Doch mehr als über den Sport wird in Peking über ein anderes Thema geredet.

An diesem Samstag beginnt in Peking die Leichtathletik-Weltmeisterschaft, und die deutsche Kugelstoßerin Christina Schwanitz hat das ganze Dilemma dieser Veranstaltung schon mal in zwei Sätzen zusammengefasst. "Durch die Doping-Berichterstattung so kurz vorher haben die Leute erstmal gemerkt, dass es überhaupt wieder eine gibt. Allerdings denken die meisten jetzt auch: Die sind doch eh alle gedopt", sagte die Gold-Favoritin.

Tatsächlich hat es selbst in einer so Doping anfälligen Sportart wie der Leichtathletik nur selten eine große Meisterschaft gegeben, die schon vor ihrer Eröffnungsfeier derart vom Thema Leistungsmanipulation überlagert war. Sprint-Star Usain Bolt etwa will gleich am Sonntag (15.15 Uhr MESZ/ARD und Eurosport) seinen WM-Titel über 100 Meter verteidigen. Jeder seiner drei Hauptkonkurrenten Justin Gatlin , Tyson Gay (beide USA) und Asafa Powell (Jamaika) ist dabei schon mindestens einmal wegen Dopings gesperrt gewesen. Auch Doppel-Olympiasieger Mo Farah aus Großbritannien hatte eine deutlich erschwerte Vorbereitung auf den 10 000-Meter-Lauf am Samstag. Im Mai waren in einer BBC-Dokumentation massive Doping-Vorwürfe gegen seinen Trainer Alberto Salazar erhoben worden.

"Ich bin nicht der Typ, der andere unter einen Generalverdacht stellt. Aber wer das tut, dürfte in den nächsten neun Tagen keinen großen Spaß haben, Leichtathletik zu gucken", sagte der zweifache Kugelstoß-Weltmeister David Storl .

Die Doping-Diskussionen bringen auch die deutsche Leichtathletik in eine schwierige Situation. Kaum jemand hat sich im Vorfeld dieser WM so nachdrücklich gegen den eigenen Weltverband und seine vermeintlich viel zu laxe Doping-Bekämpfung gestellt wie einige namhafte deutsche Athleten. Der in Peking fehlende Diskus-Olympiasieger Robert Harting und seine Freundin Julia Fischer drehten sogar ein Protest-Video gegen die IAAF.

Doch spätestens mit Beginn der Wettkämpfe müssen die Sportler versuchen, sich darauf zu konzentrieren, weshalb sie nach Peking geflogen sind: Schwanitz und Storl etwa wollen am Samstag beziehungsweise Sonntag die ersten beiden Goldmedaillen für das deutsche Team holen. "Gleich der erste Tag am Samstag ist sehr, sehr wichtig für uns. Wir werden dann zwölf Athleten am Start haben", sagte Cheftrainer Idriss Gonschinska. Die amtierende Europameisterin und Weltjahresbeste Schwanitz geht als große Favoritin im Kugelstoß-Wettbewerb, der bereits um 4.10 Uhr deutscher Zeit mit der Qualifikation beginnt und dann nach dem Finale um 14.05 Uhr damit enden soll, "dass ich ganz oben stehe". Auch Carolin Schäfer gilt als Medaillenkandidatin in dem Siebenkampf. "Grundsätzlich wäre ein guter Auftakt ein Stimuli für die ganze Mannschaft", meinte Gonschinska.

Für Verbandspräsident Clemens Prokop haben die Tage in Peking mit einer großen Enttäuschung begonnen. Er wurde am Mittwoch nicht in das neue Council des Weltverbandes IAAF gewählt. Seitdem kursieren rund um das "Vogelnest"-Stadion Gerüchte, dass das auch mit den immer neuen Doping-Enthüllungen der ARD zu tun gehabt haben könnte - und dass sein Hauptkonkurrent einige teure Geschenke unter die Delegierten des IAAF-Kongresses gebracht habe.

Eigentlich, sagte Prokop, wolle er sich dazu nicht mehr äußern. "Aber wenn es daran gelegen haben sollte, dass ich keine Geschenke verteilt habe, dann bin ich stolz darauf, nicht gewählt worden zu sein", meinte er. Die Doping-Recherchen der vergangenen Wochen seien eine Chance für unseren Sport, Reformen anzugehen".Neuntes WM-Gold für Usain Bolt oder Triumphlauf von Buhmann Justin Gatlin ? Der Sonntags-Krimi im Pekinger "Vogelnest", wie das Olympiastadion genannt wird, verspricht Spannung pur und beantwortet schon am zweiten Wettkampftag die wichtigste Frage der Leichtathletik- Weltmeisterschaften: Wer ist der schnellste Mann der Welt?

Jamaikas Superstar Bolt scheint nach einer frustrierenden Saison auf den Punkt fit zu sein, doch der US-Amerikaner Gatlin ist mit 33 Jahren in der Form seines Lebens. Keiner lief die 100 Meter 2015 schneller als der ehemalige Dopingsünder - 9,74 Sekunden. Holt er nach zehn Jahren mit Höhen und Tiefen tatsächlich noch mal Gold ? "Gatlin hat eine echte Chance", sagt sein Landsmann Maurice Greene in Peking vor dem Duell der Sprintgiganten am Sonntag (15.15 Uhr deutscher Zeit). "Er glaubt, dass Bolt ihn nicht besiegen kann -- und das muss er auch glauben. Es wird ein fantastisches Rennen", meint der fünfmalige Weltmeister . Aber auch auf Bolt hält Greene große Stücke: "Usain hat für den Sport mehr getan, als irgendjemand anderer."

Und Gatlin? Einen Tag nach Bolts 29. Geburtstag wird er jedenfalls keine Geschenke machen. Der Amerikaner hielt sich aber auch mit Kampfansagen vornehm zurück. Anders als Showmann Bolt vermied er vor dem Finale auch öffentliche Auftritte. "Ich will keinen Popularitäts-Wettbewerb gewinnen oder jemanden ganz bestimmten schlagen", sagte Gatlin, der schon zweimal des Dopings überführt wurde.

Titelverteidiger Bolt demonstrierte vor seinem ersten Auftritt im Nationalstadion, wo er 2008 dreimal Olympia-Gold abräumte, Selbstvertrauen und Gelassenheit. "Wettkampf ist Wettkampf", sagte der schnellste Mann der Welt. "Über 100 Meter kommt es nur darauf an, sein Rennen durchziehen. Statistiken interessieren mich nicht", sagte er: Mit der neunten Goldmedaille bei einer Weltmeisterschaft würde Bolt die US-Helden Carl Lewis und Michael Johnson (je acht Mal Gold ) übertrumpfen.

Genau das will Gatlin verhindern. Der Altmeister ist wieder da und läuft plötzlich schneller als zu den Zeiten, in denen er Olympiasieger (2004), Weltmeister (2005) und Weltrekordler (2006) war. Viele misstrauen ihm. "Ich versuche, das zu machen, was ich machen sollte", erklärte Gatlin. "Hoffentlich wird meine Leistung auf der Bahn dazu führen, dass die Leute sehen, was wirklich zählt. Nur darum geht es."

Von den sieben 100-Meter-Duellen mit Bolt seit 2011 hat Gatlin nur eines gewonnen: am 6. Juni 2013 in Rom. Ihre Zweikämpfe verglich er einmal mit dem "Jahrhundert"-Boxkampf Mayweather gegen Pacquiao: Sie seien "bestimmt aufregender, aber leider auch deutlich schlechter bezahlt".

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Auf einen BlickLeichtathletik-Fans haben es bei der WM in Peking nicht leicht. Wollen sie alle Wettkämpfe live im Fernsehen verfolgen, müssen sie ihren Biorhythmus ändern. Wegen der Zeitumstellung finden die Vorkämpfe und einige Entscheidungen wie der Marathonlauf nachts und am frühen Morgen statt. Die meisten Finals werden am Nachmittag zwischen 12 und 16 Uhr entschieden.Trotz der ungünstigen Sendezeiten berichten ARD /ZDF und Eurosport ausführlich und zeigen alle Entscheidungen aus Peking live. Dabei wechseln sich die öffentlich-rechtlichen Sender im täglichen Rhythmus ab. Das Zweite, das am Samstag beginnt und den Abschluss überträgt, kommt auf fünf Tage, das Erste berichtet an vier Tagen. dpa

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