Wochenkolumne Alt werden will jeder. Aber alt sein?

Das Schuften hinter sich lassen, endlich Zeit für sich und die Familie haben, einfach das Leben genießen – für viele Menschen, die schon Jahre oder gar Jahrzehnte im Berufsleben stehen, ist der Eintritt in die Rente oder das Erreichen des Pensionsalters ein durchaus erstrebenswertes Ziel. Denn alt werden will jeder. Alt sein jedoch niemand. Denn plötzlich ist alles anders. Als Rentner schwinden berufliche Verantwortung und oft auch gesellschaftlicher Einfluss. Man ist kein „Macher“ mehr, steht nicht mehr mitten im Leben – das kratzt am Selbstbild. Finanzielle Probleme durch die oftmals (zu) schmale Rente kommen hinzu. Und es stellt sich die Frage: Was mache ich eigentlich mit der vielen freien Zeit? Die Kneipe um die Ecke, wo man sich trifft und an der Theke austauscht, gibt es nicht mehr. Geschäfte im Dorf, wo man während des Einkaufs mal bisschen Quatschen kann? Fehlanzeige. Autofahren wird auch immer beschwerlicher. Dann tauchen alterstypische Krankheiten auf, nehmen einen immer größeren Raum ein. Schließlich wird das Wartezimmer des Arztes zum neuen In-Treff – so es denn noch einen Mediziner im Ort gibt. Wer dann noch seinen Lebenspartner verliert, dem geht nicht selten auch der Lebensmut verloren. Als Folge sprießen die Depressionen „fröhlich“ vor sich hin. Studien besagen, dass knapp zwei Drittel der über 65-Jährigen in Deutschland alleine leben. Nahezu 40 Prozent aller Suizide im Land werden von Männern über 60 begangen. Bei den Frauen ist jede Zweite, die sich selbst tötet, älter als 60. So weit, so schrecklich.

Wochenkolumne: Alt werden will jeder. Aber alt sein?
Foto: SZ/Robby Lorenz

Im St. Wendeler Land ist man sich dieser Entwicklung, die früher oder später alle trifft, bewusst. Gegengesteuert wird mit den Paten mit Herz. Die Paten, oft selbst bereits im Rentenalter, unterstützen ihre „Patenkinder“ beim Einkaufen, gehen mit ihnen spazieren, begleiten sie zum Arzt, unternehmen etwas mit ihnen – oder hören einfach nur zu. Denn das ist mit am wichtigsten: mit anderen reden, erzählen und sich austauschen zu können. Das Gefühl zu haben, nicht einsam und allein zu sein. Von daher ist das Paten-Projekt gar nicht hoch genug einzuschätzen. Und es ist gut, dass sich der Landkreis mit dem Marienkrankenhaus, dem Pflegestützpunkt und anderen lokalen Partnern hierfür zu einem Netzwerk zusammengeschlossen hat. Das einzige Manko: Paten mit Herz ist endlich, da es ein Modellprojekt ist, ein Versuch sozusagen. Allerdings ein geglückter. Bleibt nur zu hoffen, dass es nach Projekt-Ende in irgendeiner Form weiter geht und die Paten nicht in Rente geschickt werden.

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