„Vereine sind prädestiniert, um Leute zum Alkohol zu bringen“ Fußballer musste Sucht nicht verstecken

St Wendel · 1992 holte er den Europapokal der Pokalsieger, '88 und '93 die Deutsche Meisterschaft. '91 und '94 durfte er den DFB-Pokal in die Höhe strecken. Von 1981 bis '96 absolvierte Uli Borowka 388 Bundesligaspiele. Doch da gab es noch etwas: seine Alkoholsucht.

 Mahnend präsentiert sich Ex-Fußballprofi Uli Borowka bei der St. Wendeler SZ, wenn es ums Thema Alkohol geht. Foto: B&K

Mahnend präsentiert sich Ex-Fußballprofi Uli Borowka bei der St. Wendeler SZ, wenn es ums Thema Alkohol geht. Foto: B&K

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Er ist trocken. Und das auch im Kopf. Der ehemalige Bundesliga-Profi Uli Borowka weiß genau, dass "für einen trockenen Alkoholiker Alkohol der Tod bedeutet, und ich hole mir doch nicht den Tod ins Haus".

Seit Ende seiner Entziehung im März 2000 lebt er ohne Alkohol. Und das, obwohl Alkohol fest in der Gesellschaft verankert sei: "Alkohol ist in Deutschland ein Kulturgut", sagte er Donnerstagmittag während eines SZ-Redaktionsgesprächs in St. Wendel . Dabei waren auch Martina Scheid vom Gesundheitsamt des Landkreises und Conny Münz von der Beratungsstelle Knackpunkt. Sie hatten Borowka für ihre Alkoholpräventionskampagne "VOLLgetankt? No Go!" gewonnen, die für einen verantwortungsvollen Umgang Jugendlicher mit Alkohol wirbt. Am Donnerstagabend las der 52-Jährige in Oberlinxweiler aus seinem Buch "Volle Pulle".

Jugendliche sensibilisieren, das sei wichtig, sagt Borowka: "Man muss ihnen verdeutlichen, was sie ihrem Körper mit Komasaufen antun." Für viel wichtiger hält der Ex-Profi die Vorbildfunktion der Erwachsenen. Diese sei schlichtweg schlecht: "Wenn ein Fußballspieler um zehn Uhr mit der Pulle Bier auf dem Sportplatz steht, dann ist das kein gutes Vorbild." Dabei zieht er einen Vergleich zu Sonnenbänken: Diese dürften erst ab 18 Jahren genutzt werden. Kneipen hingegen stehen bereits 14-Jährigen offen, wenn auch nur mit Eltern.

Und dann die Vereine; längst nicht nur die Fußballclubs: "Vereine sind prädestiniert, um Leute zum Alkohol zu bringen." Ein harter Vorwurf. Doch das hätten auch Langzeitstudien bewiesen. Ein Bier, um auf den Sieg anzustoßen, eines als Belohnung für ein gutes Spiel - das dürfe bei Jugendlichen nicht sein. Sei aber Realität. "Wir wollen uns nicht anmaßen, den Alkohol komplett zu verteufeln", sagt Scheid. Und Münz fügt hinzu: "Aber jeder sollte mal über seinen eigenen Konsum nachdenken."

Außerdem wünscht sich Borowka mehr effiziente Kampagnen. Experten sollten gezielt in Schulen gehen, aufklären. Als "Armutszeugnis" bezeichnet er die Tatsache, dass von den Milliarden an Alkoholsteuer kein Cent zurück in die Prävention fließe. Das nämlich sei nötig. Borowka: "Jugenliche trinken immer mehr, und die Sucht im Alter wird von Jahr zu Jahr schlimmer."Fußballprofis sind oft mit der ganzen Mannschaft auf Reisen, teilen sich das Zimmer mit einem Teamkameraden. Wie versteckt man in diesem Umfeld seine Alkoholsucht? "Ich musste nichts verstecken; Der ganze Verein wusste Bescheid", sagt Uli Borowka. Sein Trainer, vor allem Otto Rehhagel , habe ihn zwar hin und wieder gemaßregelt, aber das Leistungsprinzip habe gegriffen: "Einen Leistungsträger setzt man nicht auf die Bank." Und Leistung habe er gebracht; zumal er sich am Abend vor einem Spiel zusammengerissen habe: "Dann habe ich keinen Alkohol getrunken." Dabei habe er das Belohnungsprinzip vor Augen: Bei einem Sieg wurde am nächsten Tag umso mehr gefeiert.

Borowka war also Leistungsträger in seinen Vereinen - Werder Bremen und Borussia Mönchengladbach - und sechsmaliger Nationalspieler. Wäre er ohne Alkohol noch besser gewesen? "Keinen Deut", glaubt der 52-Jährige.

Er selbst habe sich nicht als Alkoholiker gesehen, auch nicht, als er schon in der Entzugsklinik war. Dorthin haben ihn übrigens Christian Hofstätter, ehemaliger Spieler bei Gladbach , und Präsident Wilfried Jacobs gebracht. Borowka: "Sie haben meinen erbärmlichen Zustand gesehen und gehandelt." Vier Monate blieb er dort. Da hatte der Alkohol schon seine Ehe und seine Beziehung zu seinen zwei heute 26 und 24 Jahre alten Kindern zerstört.

Heute kümmert sich Borowka mit seiner zweiten Frau um einen Verein, der Anlaufpunkt für suchtkranke Profis ist. Die Nachfrage sei sehr groß, sagt er. Laut Internationaler Spielervereinigung seien 19 Prozent der aktuellen Profis süchtig. Die größte Sorge mache laut Borowka die Spielsucht: "Das ist das Problem der Smartphone-Generation." Sorgen macht sich Ex-Fußball-Profi Uli Borowka um seinen Club. Aber er hofft, dass am Saisonende zwei Mannschaften schlechter sind als Werder Bremen . "Und ich sehe diese Mannschaften." Noch immer drückt er Gladbach die Daumen, wo er sieben Jahre war, und Bremen (neun). "Ich habe beide Vereine in meinem Herzen." Er wünscht sich, dass Bremen sein Abwehproblem in den Griff bekommt. 60 Gegentore pro Saison sei zu viel. Bremen brauche einen Abwehrspieler statt eines Stürmers. "Vielleicht sollte ich auch wieder anfangen zu spielen."

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