"Der Weg ist das Ziel"

Saarbrücken/New York. Halbmarathon in New York. Bei 33 Grad Celsius und 80 Prozent Luftfeuchtigkeit scheinen die Sterne schon zum Greifen nahe zu sein. Macht der Kreislauf zum Schluss doch noch schlapp? Hinter der Ziellinie mischen sich Erschöpfung und Zufriedenheit. Geschafft. Die Muskeln werden schwerer. Die Helfer im Medizin-Zelt drücken Läufern eine Portion Salz in die Hände

Saarbrücken/New York. Halbmarathon in New York. Bei 33 Grad Celsius und 80 Prozent Luftfeuchtigkeit scheinen die Sterne schon zum Greifen nahe zu sein. Macht der Kreislauf zum Schluss doch noch schlapp? Hinter der Ziellinie mischen sich Erschöpfung und Zufriedenheit. Geschafft. Die Muskeln werden schwerer. Die Helfer im Medizin-Zelt drücken Läufern eine Portion Salz in die Hände. Es soll verbrauchte Mineralstoffe im Eiltempo zurück in den Körper pumpen. Im benachbarten Battery Park spenden die Bäume wohltuenden Schatten. Es ist Zeit, runterzukommen.

Nun schießt der Halbmarathon noch einmal durch den Kopf. Um fünf Uhr in der Frühe schnüre ich die Laufschuhe, dann geht's zum zwei Kilometer entfernten Start im Central Park. Noch ist die Stadt wie ausgestorben, und die alltägliche Geräuschkulisse fehlt. Nur ein Kran parkt die letzten Toilettenhäuschen am Straßenrand. Unterwegs treffe ich Sarah, 28.

Die waschechte New Yorkerin erzählt, dass sie vor eineinhalb Jahren vom Couchpotatoe zur Hobbyläuferin wurde. Jetzt wolle sie es wissen, wie es denn ist, an einem richtigen Wettbewerb mit über 13 000 Startern teilzunehmen. Zusammen mit einer Freundin sei dies nun genau die richtige Herausforderung. Man wünscht sich das berüchtigte "Runners High", das Gefühl, das einem beim Laufen den Kick gibt. Immer mehr Teilnehmer laufen sich warm oder gehen direkt in ihre Startbox. Aus den Lautsprechern dröhnen die letzten Infos, aufgeregt wippt so mancher von einem Bein aufs andere. Der Ansager verspricht heißes Wetter. Dann höre ich meinen Namen. Und das Vorurteil, dass Saarländer überall anzutreffen sind, bestätigt sich - eben auch mitten in New York. Bei den vielen Startern, die am Halbmarathon teilnehmen, ist es purer Zufall, dass Andrea und Jörn aus Saarbrücken plötzlich neben mir stehen - ebenfalls mit Startnummern auf der Brust.

Die Amerikaner lieben es dramatisch, auch beim Laufen. Zuerst die amerikanische Nationalhymne, dann der Startschuss. Über 26 000 Füße lassen den Central Park beben und bringen so manches Eichhörnchen um den Sonntagsschlaf. Von Meile zu Meile entzerrt sich der Läuferpulk. Die Durchstarter setzten sich nach vorne ab, kämpfen um jede Sekunde. Andere wollen die 21,0975 Kilometer lange Strecke einfach nur durchhalten. Mit der aufsteigenden Sonne nimmt auch die Luftfeuchtigkeit in der Metropole zu. Fast alle stürzen sich nach zwei Meilen an die ersten Wasserstationen.

Das Laufvolk ist international bunt gemischt. Die durchtrainierte Studentin läuft neben dem Familienvater mit Bauchansatz, der die läuferische Herausforderung sucht. Englische, spanische, italienische - und eben saarländische - Laute mischen sich. Die Zuschauer klatschen und motivieren die Teilnehmer. Eine ganze Runde geht das so. Dann offenbart der bisher friedliche Park sein wahres Gesicht. Aus anfangs kleinen Steigungen werden fiese Berge. Mittlerweile sind die Laufklamotten komplett durchgeschwitzt. Schon nach einer halben Stunde kommt die Anweisung: "Go on the right", alle nach rechts, also Platz machen. Während sich viele tapfer von Meile zu Meile durchbeißen, überrunden die Laufprofis nun unbeschwert schnaufende Hobbyläufer. Die Hälfte der Strecke ist geschafft, und das rechte Knie zwackt bereits. Vom Central Park geht es weiter durch die Wolkenkratzer-Schluchten Manhattans über die 7th Avenue zum Times Square, New Yorks guter Stube. Doch an diesem Morgen fahren keine Busse, Taxen und Laster. Die sechsspurige Pracht-Straße wird zur Lauf-Autobahn. Die Teilnehmer verschwinden zwischen den gigantischen Hochhäusern und der überdimensionalen Leucht-Reklame. Sie genießen noch einmal die angenehme Kühle der Stadt, bevor sie auf den West Side Highway abbiegen.

Mehrere Marching-Bands, Jazz-Combos und DJs heizen die Stimmung zusätzlich an. Der Steckenabschnitt wird zur letzten großen Ausdauerprüfung. Schnurgerade schlängeln sich die letzen vier Meilen neben dem Hudson River am Wasser vorbei in Richtung Ziel. Schatten: hier Fehlanzeige. Die Sonne brennt vom Himmel, vielleicht sind es 30 oder 35 Grad, es ist windstill. Da sind die gutgemeinten Wasserduschen und die Eiswürfel-Packs, die Helfer an der Strecke verteilen, eine willkommene Erfrischung. George aus Brooklyn hat vor dem Ziel einen Durchhänger, will eigentlich aussteigen. Nun zieht man sich gegenseitig. "Only two miles", nur noch zwei Meilen, feuere ich ihn an. Kurz darauf denke ich selbst ans Aufgeben. Die Schmerzen im Knie werden immer größer. Nun zieht er mich. "400 m" steht auf einem Schild - die letzten 400 Meter. Das Ziel ist vor Augen, gleich ist der abenteuerliche Run durch die Weltstadt geschafft.

Mit meiner Zeit von 3:03:54 Stunden hätte ich als Walking-Anhänger durchmarschieren können. Das ist nicht preisverdächtig, doch an diesem Morgen egal. Die Zufriedenheit, angekommen zu sein, überwiegt. Oder wie die Veranstalter behaupten: "The Journey is the Reward", der Weg ist das Ziel - New York, ein Laufabenteuer.

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