Wenn aus dem Spaß eine Sucht wird

Neunkirchen · Computerspiele nehmen gerade bei jungen Leuten einen hohen Stellenwert ein. Aus einer bequemen Freizeitbeschäftigung kann dabei Sucht werden. Ein Betroffener aus Neunkirchen schildert, wie sich bei ihm die Spielsucht entwickelt hat.

Das Smartphone zwitschert im Minutentakt. Die Augen wandern immer wieder zum Display. Wer daheim am Küchentisch bei seinen heranwachsenden Kindern sitzt und mit der Maschine um die Aufmerksamkeit buhlt, hat einen schweren Stand. Wer im pädagogischen Eifer dann noch die Internet-Gewohnheiten oder gar die Spielgewohnheiten der Kinder verfolgen will, steht oft auf verlorenem Posten. Handys, Tablets, PC - unsere Welt wird zunehmend elektronischer, Informationsflut und Ablenkungsmöglichkeiten erfordern einen kühlen Kopf. Aus Spaß am elektronischen Spiel kann schnell Sucht werden.

"Bei mir hat es ganz früh angefangen", erzählt Martin S. (Name von der Redaktion geändert). Der Vater habe ihm und seinem Bruder einen Computer gegeben, ein Bekannter die Jungs mit Spielen versorgt. Martin S., heute 40 Jahre alt, war damals noch im Grundschulalter. Er lernte das Abc, die für die Allgemeinheit zugängliche Internet- und Computerspielwelt steckte im Vergleich zu heute in den Kinderschuhen. Den PC mit seinen seinerzeit noch einfachen Spielen lernte Martin S. bald schätzen, weil es im Elternhaus ansonsten wenig Zuwendung gab: "Ich war als Kind sehr viel alleine. Meine Eltern waren beide berufstätig. Ich hatte zu funktionieren. Wenn ich die Regeln der Disziplin eingehalten habe, war alles in Ordnung." Der Neunkircher ist ein stämmiger Mann, er spricht reflektiert über seine Probleme. Mit seinem Vater verbindet er "viel Aggression". Der habe ihn geschlagen, wenn es Zuhause nicht wie gewünscht lief. Und diese Aggressivität habe sich auf ihn selbst übertragen. "Ich habe erst in der Therapie mitbekommen, dass das auf meine eigene Kindheit zurückzuführen ist."

Mit dem Computer fand er eine Beschäftigung, flüchtete in andere Welten, die über die Jahre immer komplexer wurden. Die Spielewelt bot klare Strukturen, belohnte auch: "Einen Level packen, einen Highscore machen - ich habe mich einfach nicht so alleine gefühlt." Auf der anderen Seite weiß S.: "Der Computer schwätzt nicht mit einem, er bietet dir keine Wertschätzung." Aber da er die unter Menschen allzu oft vermisst hat, war ihm der elektronische Begleiter lange lieber als gar nichts.

Das ging so während der Schulzeit und auch darüber hinaus. S. machte eine Ausbildung, arbeitete in der Logistik. Computerspiele begleiteten ihn. Er sei mehr ein "Offline-Spieler", die vernetzte Spielwelt über das Internet und im Team liege ihm nicht so, erzählt er: "Im Team ist die Herausforderung anders. Der Stress ist höher. Da bin ich zu anfällig." Wenn die Aggression aus ihm herausbricht, geht auch mal eine Tastatur zu Bruch. Neben der Spielsucht greift S. - schon im Erwachsenenalter - zu Canabis. Er raucht mit anderen Leuten, fühlt sich endlich einmal zugehörig. 2006/2007 macht er dann eine stationäre Therapie in Münchwies: "Ich hatte einen kompletten körperlichen Zusammenbruch." 2009 geht er erneut in Therapie, seither hat er mit Haschisch nichts mehr zu tun. Das Leben bleibt dennoch ein Auf und Ab. Wegen schwerer Depressionen wartet er auf die Genehmigung für einen neuen Behandlungsanlauf.

Nächtelang in Compterwelten zu verschwinden hat S. lange nicht als Problem erkannt. Teils habe er exzessiv gespielt, erzählt er, vom frühen Abend an, die ganze Nacht hindurch, bis nichts mehr ging. Den PC herunterfahren? Das war nicht drin. Warum nicht? S. schüttelt den Kopf: "So lange ich noch konnte, wollte ich wissen, wie es weitergeht." "Ich habe mein Verhalten lange bagatellisiert", sagt der Neunkircher. Seine Instabilität werde er nicht mehr los, aber die Ausbrüche will er nicht mehr haben. Denn die kosteten viel Kraft und zerstörten Beziehungen. Computerspiel-Abstinenz strebt er nicht an. Es sei auch nicht die entscheidende Frage, wie viele Stunden jemand in virtuellen Welten verbringe, sondern welche Funktion das Spielen für ihn habe. Ob er darin abtauche. S. will sich jedenfalls mehr Richtung Menschen orientieren, mit Frau und Kind zusammen sein, seine Vaterrolle annehmen.

Und eines will er loswerden an andere, die in einer ähnlichen Situation stehen wie er: "Lasst es nicht so weit kommen, bis ihr ganz unten seid."

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Hintergrund Zur Computer- und Internet-Spielsucht gibt es eine Reihe von Kriterien, die auf ein krankhaftes Verhalten hinweisen. Horst Arend, Fachdienst-Leiter beim Caritasverband in Neunkirchen , spricht von neun Aspekten des "Internet Gaming Disorder": Der Betroffene ist eingenommen, das Spielen wird zur dominierenden Alltagsaktivität. Der Betroffene nimmt zunehmend längere Spielzeiten in Kauf, um sich zu entspannen oder abzulenken. Entzug: Ist Spielen nicht möglich, treten Symptome wie Gereiztheit oder Traurigkeit ein. Der Betroffene verliert die Kontrolle darüber, seine Computerspiel-Zeit zu beschränken oder zu beenden. Der Betroffene vernachlässigt andere Aktivitäten. Der Betroffene macht weiter trotz negativer Konsequenzen wie Konflikte in der Familie oder Leistungsabfall. Der Konsum wird verheimlicht. Er nutzt die Spiele, um aus negativen Gefühlen herauszukommen. Der Betroffene gefährdet soziale Beziehungen und berufliche Chancen. Zugleich weist Arend darauf hin, dass die Computerspielwelt gerade für Jugendliche viele positive Aspekte enthält. Ob diese Form der Bedürfnisbefriedigung für die Entwicklung gut oder schlecht sei, stelle eine noch offene Frage dar. Für die Arbeit auf diesem Feld müssten seiner Meinung nach Stellen geschaffen werden. mbe

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