Neue Eiszeit: Josef Haslinger über das Schicksal eines Eishockeyspielers

Saarbrücken. Josef Haslinger wuchs in Niederösterreich auf, nahe der tschechischen Grenze. Dort hörte er oft die Mahnung "Tut's nid politisieren" - der sicherste Weg, ein politischer Mensch zu werden. In "Opernball" (1995) und "Das Vaterspiel" (2000) hat er sich am Nazitum der Erzeuger abgearbeitet

Saarbrücken. Josef Haslinger wuchs in Niederösterreich auf, nahe der tschechischen Grenze. Dort hörte er oft die Mahnung "Tut's nid politisieren" - der sicherste Weg, ein politischer Mensch zu werden. In "Opernball" (1995) und "Das Vaterspiel" (2000) hat er sich am Nazitum der Erzeuger abgearbeitet. In "Jáchymov" wendet er sich dem dunklen KP-Erbe in der CSSR zu.Vor gut 20 Jahren lernte Haslinger in Wien die Schauspielerin Blanka Modra kennen. Sie erzählte ihm von ihrem Vater Bohumil Modrý, der als Tormann der tschechischen Eishockey-Nationalmannschaft in den 30ern und 40ern WM-Titel und Olympiasiege holte. 1950 aber wurde er mit seinen Mannschaftskollegen als Zwangsarbeiter in die Uranminen geschickt. In Jáchymov, wo Marie Curie aus Pechblende das erste Radium isolierte und die Nazis später russische Kriegsgefangene in Stollen schickten, wurden nach der Machtergreifung der Kommunisten politische Häftlinge der CSSR zu einer Arbeit gezwungen, die den sicheren Tod bedeutete.

Von Fakten ausgehend, entwickelt Haslinger seinen Roman: Modra taucht als "ehemalige Tänzerin" auf, ihm selbst kommt im Buch die Rolle des Verlegers Findeisen zu, der an Morbus Bechterew leidet und zur Kur nach Jáchymov reist. Dort trifft er die Tänzerin, die sich die Minen ansehen will, wo ihr Vater arbeiten musste. Er überredet sie, die Vater-Geschichte aufzuschreiben. Die komplette Nationalmannschaft wird 1950 verhaftet, weil sie in einer Kneipe Spottlieder auf die Regierung gesungen hat, die ihr zuvor die Teilnahme an der WM in England untersagt hat. Weil ein paar Spieler sich bei der letzten ins Ausland absetzten? Weil die UdSSR sonst keine Chance gegen die überlegenen Tschechoslowaken gehabt hätte? Ohne die Schuld der Nazis gegen die der Kommunisten aufzurechnen, führt der Roman vor, wie von den Tschechen die NS-Arbeitslager weiter betrieben werden. Mit dem Kalten Krieg beginnt eine neue Eiszeit.

Aus mehreren Perspektiven erzählt Haslinger seine Geschichte. Zwischengeschaltet ist das Manuskript, das vom Leben des Vaters erzählt. Manchmal wirkt das alles allzu routiniert. Dass Haslinger die Jahre in der CSSR nicht selbst miterlebt hat, merkt man. grom

Josef Haslinger: Jáchymov.

S. Fischer, 272 Seiten, 19,95 €

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