Neue Polizeigewalt in USA Tödliche Schüsse lösen neue Wut und Trauer aus

Minneapolis · Der Tod von George Floyd rief in den USA schwere Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt hervor. Nun stirbt im selben Bundesstaat erneut ein Schwarzer durch eine Polizeikugel. Wieder gibt es Proteste, Präsident Biden ruft zur Ruhe auf.

 Ein Demonstrant sitzt auf einer Straße vor einer Reihe von Bereitschaftspolizisten. In der Kleinstadt Brooklyn Center nahe Minneapolis ist es in der Nacht zu Dienstag erneut zu Protesten nach der Tötung eines jungen Schwarzen bei einer Polizeikontrolle gekommen.

Ein Demonstrant sitzt auf einer Straße vor einer Reihe von Bereitschaftspolizisten. In der Kleinstadt Brooklyn Center nahe Minneapolis ist es in der Nacht zu Dienstag erneut zu Protesten nach der Tötung eines jungen Schwarzen bei einer Polizeikontrolle gekommen.

Foto: dpa/Imagespace

Tim Walz, der Gouverneur Minnesotas, versuchte erst gar nicht, seinen Frust zu verbergen. Es sei dringend geboten, Polizeireformen zu beschließen, mahnte er, nachdem eine anfangs harmlos scheinende Kontrolle schon wieder mit dem Tod eines Afroamerikaners endete. Bereits im Mai vor einem Jahr, nach der Tötung George Floyds, hätte das Parlament seines Bundesstaats handeln müssen, betonte der Demokrat. Und nun, während des Gerichtsverfahrens in Sachen Floyd, während eines Prozesses, auf den die Welt schaue, wiederhole sich das Ganze. Ein 20-Jähriger, Daunte Wright, nicht mehr am Leben, eine Familie am Boden zerstört, eine Stadt, in der die Nerven blank liegen: „Wir sollten endlich aufhören, so zu tun, als wäre dies die natürliche Ordnung des Universums, als könne man nichts dagegen machen“, sagt Walz.

Wieder ist es ein Video, das eine Protestwelle ins Rollen bringt. Aufgenommen von der Body-Cam einer Polizistin, dokumentiert es eine furchtbare Tragödie in Brooklyn Center, einem Vorort von Minneapolis. Nach Darstellung der Behörden war Daunte Wright von einer Patrouille angehalten worden, weil mit den Nummernschildern des Buick, in dem er saß, etwas nicht stimmte. Die Zulassung war abgelaufen, wobei aufgebrachte Bürger der Gemeinde darauf verweisen, dass die Zulassungsbehörde, die pandemiebedingt lange nur im Notbetrieb arbeitete, Monate im Verzug ist. Als sich ein Beamter dem Fahrzeug näherte, entdeckte er zudem einen Duftspender, der am Rückspiegel baumelte: In Minnesota ist es verboten, etwas an den Rückspiegel zu hängen. Schließlich ergab eine Computerrecherche, dass es wegen einer kleineren Straftat einen nicht vollstreckten Haftbefehl gegen Wright gab.

Er musste aussteigen, ein Polizist legte ihm Handschellen an, doch bevor die klickten, riss sich Wright los, sprang ins Auto und machte offenbar Anstalten, davonzufahren. In dem Moment, auch dies dokumentiert das Video, warnte ihn eine Uniformierte namens Kim Potter, die Chefin der Patrouille, dass sie von ihrer Elektroschockpistole Gebrauch machen werde. „Taser! Taser! Taser!“, schrie sie, bevor sie feuerte. Und dann: „Heilige Scheiße, ich habe ihn erschossen.“ Potter hatte ihren Elektroschocker mit ihrer Dienstwaffe verwechselt und aus dieser einen Schuss abgegeben. Die Kugel muss Wright, den Vater eines zweijährigen Jungen, tödlich getroffen haben. Zwar gab er noch Gas, doch kurz darauf prallte sein Buick La Crosse gegen ein anderes Auto. Rettungssanitäter konnten nichts mehr tun. Tim Gannon, der Polizeichef von Brooklyn Center, sprach von einer versehentlichen „Schussabgabe“.

Katie Wright, Dauntes Mutter, beschrieb im Interview mit einem Lokalsender, wie sie die Eskalation aus der Ferne erlebte. Ihr Sohn, schilderte sie, habe angerufen, um nach der Versicherung für den Wagen, ein Geschenk seiner Eltern, zu fragen. „Ich hörte, wie ein Officer sagte, legen Sie das Handy weg und steigen Sie aus. Daunte, renn’ nicht weg, sagte er als Nächstes, während ein anderer wiederholte, er solle das Telefon aus der Hand legen.“ Die Verbindung brach ab. Als es Katie Wright eine Minute später erneut versuchte, ging nicht ihr Sohn ans Handy, sondern dessen Freundin, die auf dem Beifahrersitz saß. Daunte sei erschossen worden.

Eine Routinekontrolle, die völlig aus dem Ruder läuft: Der Fall erinnert an Walter Scott, einen Afroamerikaner aus South Carolina, der Ostern 2015 gestoppt wurde, weil eines der Bremslichter seines alten Mercedes nicht funktionierte. Aus Angst vor einer Verhaftung trat Scott die Flucht an, worauf der Polizist, der ihn gestoppt hatte, mehrfach auf seinen Rücken zielte. Nun Daunte Wright. Einen schlechteren Zeitpunkt hätte es nicht geben können, meint Mike Elliott, der schwarze Bürgermeister von Brooklyn Center. In Minneapolis geht die Verhandlung gegen Derek Chauvin, den Beamten, der sein Knie neun Minuten lang in den Nacken George Floyds drückte, in ihre letzte Phase.

Brooklyn Center wurde trotz einer von 19 bis 6 Uhr geltenden Ausgangssperre an zwei Abenden hintereinander Schauplatz heftiger Proteste. Dutzende Demonstranten versammelten sich, Parolen skandierend, vor der örtlichen Polizeistation. „Bin ich der Nächste?“, war auf Postern zu lesen. In der Nähe plünderten Trittbrettfahrer des Aufbegehrens eine Filiale von Dollar Tree, einer Billigkette. US-Präsident Joe Biden rief unterdessen dazu auf, Ruhe zu wahren. Friedliche Demonstrationen seien verständlich, sagte er, für Plünderungen könne es allerdings keinerlei Rechtfertigung geben.

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