Russischer Impfstoff Das große Streiten um Sputnik V

Berlin/Moskau · Um die EU-Zulassung des russischen Corona-Impfstoffs ist ein Konflikt entbrannt, bei dem es auch um Politik geht. Und Image-Fragen.

  In 50 Staaten darf Sputnik V bereits verimpft werden. Die EU zögert mit der Freigabe des russischen Vakzins.

In 50 Staaten darf Sputnik V bereits verimpft werden. Die EU zögert mit der Freigabe des russischen Vakzins.

Foto: dpa/Jesus Vargas

Wer nicht will, der hat schon. Nach dieser Devise verstärkt Russland seine Impfdiplomatie in Europa. „Menschen sterben, aber Impfungen mit Sputnik V soll es in der EU nicht vor Juni geben“, behauptet etwa der Sprecher der russischen Staatsduma, Wjatscheslaw Wolodin. Rhetorisch fragend fügt er hinzu: „Wer ist schuld daran, dass Menschen einen vorhandenen Impfstoff nicht bekommen dürfen?“ Sputnik V sei ein hervorragendes Präparat, das weltweit bereits in mehr als 50 Staaten zugelassen sei. Nur die EU zögere. Selbst schuld, sagt Wolodin.

Ähnlich sehen es auch immer mehr Politiker in der EU. In Deutschland wollen vor allem die Länderchefs Taten sehen. „Wir brauchen jeden Impfstoff, den wir kriegen können“, mahnte Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD). Und CSU-Chef Markus Söder verlangte, die EU müsse jetzt handeln, ohne „das klassische bürokratische Klein-Klein-Verfahren“. Das zielte in erster Linie auf die EU-Kommission, die „jetzt überlegen muss, wie wir den Impfstoff kaufen können, nicht erst, wenn die Zulassung kommt“.

Im Mittelpunkt der Kritik steht jedoch die Europäische Arzneimittelbehörde (Ema) in Amsterdam, die für die Zulassung zuständig ist. Dazu beigetragen hat ausgerechnet Ema-Chefin Christa Wirthumer-Hoche selbst. Die Österreicherin sprach sich kürzlich nicht einfach nur gegen eine Notfallzulassung von Sputnik V aus. Vielmehr warnte die Ema-Chefin in drastischen Worten davor, mit Sputnik V „russisches Roulette“ zu spielen. Sie riet „absolut dringend“ davon ab, das Vakzin ohne intensive Prüfung zu nutzen.

Das ließ sich nur als Warnung vor potenziell tödlichen Nebenwirkungen verstehen. Die Empörung in Russland war groß. Tatsächlich deutet bislang nichts darauf hin, dass es mit dem von Moskauer Mikrobiologen entwickelten Präparat nennenswerte gesundheitliche Probleme geben könnte. Wolf-Dieter Ludwig, Chef der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft und Mitglied im Verwaltungsrat der Ema, erklärte am Samstag im Deutschlandfunk: „Ich halte das Prinzip dieses Impfstoffs für sehr intelligent.“ So werde bei den beiden Injektionen jeweils eine andere Virushülle verwendet, um den Wirkstoff in die Zellen zu transportieren. Dieses Verfahren erhöhe tendenziell die Wirksamkeit.

Zu ähnlichen Schlüssen kam im Februar eine Publikation im angesehenen britischen Fachmagazin The Lancet. Demnach schützt Sputnik V zu fast 92 Prozent vor einer Covid-19-Erkrankung. Nennenswerte Nebenwirkungen: keine. Dennoch meldete auch Spezialist Ludwig Zweifel an und warnte indirekt vor einer vorschnellen Zulassung des russischen Vakzins: „Solche Publikationen (wie in The Lancet) sind immer nur 80 Prozent der Wahrheit.“ Die Ema brauche mehr Daten. Was bislang vorliege, sei „nicht endgültig interpretierbar“.

Wie also ist der Stand der Dinge in Amsterdam? Darüber gibt es höchst unterschiedliche Angaben. Wenn es bei der weiteren Prüfung keine bösen Überraschungen gebe, werde das Verfahren „sehr schnell“ abgeschlossen, glaubt Ludwig und prophezeit eine Ema-Zulassung für Sputnik V „innerhalb von zwei bis drei Wochen“. In Russland ist man skeptischer. Er rechne erst im Sommer mit einem Okay aus Amsterdam, sagte Kirill Dmitrijew, der Chef des staatlichen Sputnik-Geldgebers RDIF. Mitte April werde eine Ema-Delegation in Moskau erwartet, erklärte er. Das wäre zu einem Zeitpunkt, zu dem das Verfahren laut Ludwig eigentlich schon abgeschlossen sein soll.

Es sind solche Widersprüche, gepaart mit einer spärlichen Informationspolitik beim Hersteller und bei der Ema, die den Sputnik-Streit anheizen. So ist unklar, welche Mengen des Vakzins in den kommenden Monaten überhaupt in die EU geliefert werden könnten. Hinzu kommt, dass die Führung in Moskau die Vermarktung des Impfstoffs von Anfang an für politische Zwecke nutzte. Man versprach sich nicht nur Geld, sondern vor allem Prestige-Gewinne. Das zeigte sich schon im vergangenen August, als die russischen Behörden Sputnik V eine Notfallzulassung erteilten, obwohl die entscheidenden klinischen Studien noch nicht einmal begonnen hatten.

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