Analyse Libanons Regierungschef Hariri wirft das Handtuch

Beirut · Unter dem Druck anhaltender Massenproteste gegen Korruption und Misswirtschaft im Libanon hat Ministerpräsident Saad Hariri seinen Rücktritt angekündigt.

 War schon mehrfach zurückgetreten: Saad Hariri, Ministerpräsident des Libanon

War schon mehrfach zurückgetreten: Saad Hariri, Ministerpräsident des Libanon

Foto: dpa/-

Er werde ein entsprechendes Gesuch bei Präsident Michel Aoun einreichen, sagte Hariri am Dienstag in Beirut. Er habe im Ringen um eine Lösung aus der wirtschaftlichen Krise eine „Sackgasse“ erreicht. Hariri begründete seine Entscheidung auch als Reaktion auf die laufenden Proteste Tausender, bei denen Demonstranten ein neues politisches System und den Rücktritt der gesamten Regierung gefordert hatten. „Niemand ist größer als dieses Land“, sagte Hariri. „Dies ist eine ernsthafte Gelegenheit, die nicht verspielt werden sollte“, mahnte Hariri seine politischen Partner. Demonstranten jubelten nach der Ankündigung, tanzten und schwenkten Landesflaggen.

Hariri und sein Kabinett hatten händeringend nach Auswegen aus der Krise gesucht, um den Protesten ein Ende zu bereiten. Als Teil der angekündigten Reformvorhaben sollten etwa Gehälter von Ministern und Parlamentsabgeordneten um die Hälfte gekürzt werden. Außerdem sollten Regierungseinrichtungen geschlossen oder zusammengelegt und im kommenden Jahr keine neuen Steuern erhoben werden. Die Versprechen gingen den Protestlern aber nicht weit genug.

Hariri, Sohn des 2005 bei einem Bombenattentat getöteten früheren Ministerpräsidenten Rafik Hariri, war schon mehrfach zurückgetreten: Während seiner ersten Amtszeit (2009-2011) legte er das Amt nieder, nachdem er sich mit der Opposition nicht auf die Bildung einer Regierung hatte einigen können. Er wurde vom Parlament dann aber erneut mit der Regierungsbildung beauftragt. Im November 2017 trat er während seiner zweiten Amtszeit (seit 2016) dann aus Angst um sein Leben zurück. Damals fürchtete er, Opfer eines Anschlages zu werden. Kurz danach schob er den Rücktritt auf.

Das kleine Mittelmeerland mit rund sechs Millionen Einwohnern steckt in einer tiefgreifenden Wirtschafts- und Finanzkrise und leidet unter dem Krieg im benachbarten Syrien. Die Staatsverschuldung liegt bei 86 Milliarden US-Dollar (gut 77 Milliarden Euro), was einer Quote von etwa 150 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) entspricht. Es ist eine der höchsten Schuldenquoten weltweit. Kritiker werfen der Regierung vor, Reformen über Jahre verschleppt zu haben. Die seit fast zwei Wochen laufenden Proteste waren weitgehend friedlich verlaufen, hatten das öffentliche Leben in Beirut aber teils lahmgelegt. Am Dienstag begann die Stimmung teilweise zu kippen, als Protestler und Anhänger zweier schiitischer Gruppen gewaltsam aneinander gerieten. Anhänger der Hisbollah und der mit ihr Verbündeten Amal-Bewegung zerstörten Zelte der Protestler im Stadtzentrum, wo­raufhin einige Demonstranten die Flucht ergriffen. Die Anhänger beider Gruppen setzten Augenzeugen zufolge auch einige Zelte in Brand, griffen die Crew eines TV-Senders an und zerstörten deren Kameras. Mindestens sechs Menschen wurden dem Libanesischen Roten Kreuz zufolge verletzt.

Die Demonstranten hätten eine Straße blockiert und würden andere Menschen nun davon abhalten, ihrer Arbeit und ihrem Alltag nachzugehen, sagte ein Amal-Anhänger. „Das ist nicht fair. Wir werden die Straße um jeden Preis öffnen.“ Ein Demonstrant sagte, die Hisbollah habe „diese Leute“ geschickt, um den Protesten ein Ende zu bereiten. Die in Deutschland in Teilen als Terrororganisation geführte schiitische Organisation ist in Beirut an der Regierung beteiligt. Im Libanon hat die Hisbollah Erfolg, weil sie sich den Schutz der Armen auf die Fahnen geschrieben hat. Unter wachsendem Unmut über die wirtschaftliche Lage gingen auch Hisbollah-Anhänger auf die Straße.

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