Miliz YPG Syriens Kurden in Not – Ungewisse Zukunft nach dem Abzug

Damaskus · Nach russischen Angaben hat die Miliz YPG die von ihnen gehaltenen Gebiete in Nordsyrien geräumt. Wie geht es nun weiter mit der Volksgruppe?

 Ein Kämpfer der Miliz YPG. Die Kurden gaben am Dienstag zuvor eingenommene Gebiete im Norden Syriens auf.

Ein Kämpfer der Miliz YPG. Die Kurden gaben am Dienstag zuvor eingenommene Gebiete im Norden Syriens auf.

Foto: dpa/Baderkhan Ahmad

Um die Lage der syrischen Kurden zu verstehen, reicht ein Blick nach Genf. Dort nimmt an diesem Mittwoch der syrische Verfassungsausschuss seine Arbeit auf, der den Weg zu einer politischen Lösung für das Bürgerkriegsland ebnen soll. Ein Vertreter der kurdischen Partei PYD, politischer Arm der Miliz YPG, aber wird nicht am Tisch sitzen. Die einflussreichste politische Kraft der Kurden im Norden Syriens bleibt bei dem Termin außen vor.

In den fast neun Jahren des Bürgerkriegs haben die Kurden Höhen und Tiefen erlebt. Vor allem die vergangenen Wochen gehörten für sie zu den schwersten des Konflikts. Auf der internationalen Bühne fehlt ihnen ein starker Partner. Von ihrem bisherigen Verbündeten USA im Stich gelassen, steht die YPG im Kampf gegen die türkische Armee und deren syrischen Verbündeten auch militärisch auf verlorenem Posten.

Ein von der Türkei und Russland, dem Verbündeten der syrischen Regierung, ausgehandeltes Abkommen schreibt vor, dass die YPG einen rund 30 Kilometer tiefen Streifen an der Grenze zur Türkei verlässt – und damit kampflos ein wichtiges Gebiet aufgibt, dass sie im Zuge des Krieges eingenommen hatte. Bis Dienstag, 18 Uhr (Ortszeit), hatte die YPG dafür Zeit. Nach russischen Angaben hielt sich die Kurdenmiliz an die Vereinbarung und zog sich vorzeitig zurück. Die Waffenruhe dürfte nun weiter gelten.

Nach Angaben des russischen Verteidigungsministers Sergej Schoigu hätten syrische Grenztruppen und die russische Militärpolizei die Kontrolle über das Gebiet übernommen, sagte Schoigu der Agentur Interfax zufolge am Dienstag. Die Türkei kündigte an, den Abzug der YPG aus Nordsyrien gemeinsam mit Russland überprüfen zu wollen. „Wir werden durch gemeinsame Patrouillen feststellen, ob sich die Terroristen tatsächlich zurückgezogen haben oder nicht“, teilte der Kommunikationsdirektor des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, Fahrettin Altun, mit.

Dabei sah es für die Kurden lange so aus, als könnten sie zu den Gewinnern des blutigen Konflikts in Syrien zählen. Ende 2014 rückte die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in die Grenzstadt Kobane vor. Dass die Kurden den Ort halten und den IS vertreiben konnten, gilt ihnen heute als Heldentat. Die USA erkoren die YPG sogar zu ihrem wichtigsten Verbündeten in Syrien. An der Spitze der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) nahm die Miliz Quadratkilometer für Quadratkilometer des IS-Herrschaftsgebietes ein und eroberte in diesem April auch die letzte Hochburg der Extremisten. Fast ein Drittel des Landes war damit unter kurdischer Kontrolle.

Auch politisch schufen die Kurden in ihrem Territorium Fakten und errichteten dort unter Führung der PYD eine autonome Selbstverwaltung mit mehreren Kantonen. Die Regierung, von der sich viele Kurden immer diskriminiert gefühlt hatten, besaß dort kaum noch Einfluss. Ein „historischer Moment“ sei das gewesen, sagt der Deutschland-Vertreter der Selbstverwaltung, Ibrahim Murad. Er bestreitet zugleich, dass die Kurden sich eines Tages vom Rest Syriens abspalten wollen: „Das Ziel ist ein dezentralisiertes Syrien und nicht ein unabhängiger Staat.“

Doch genau dieses Szenario rief nicht zuletzt die Türkei auf den Plan, die einen eigenen Kurden-Staat verhindern will, vor allem einen unter militärischer Führung der YPG. Nachdem die USA zuvor ihre Soldaten abgezogen hatten, marschierte Ankara in Nordsyrien ein.

Die Zukunft der Kurden ist einmal mehr in der Geschichte der ethnischen Minderheit ungewiss. Mangels Alternativen kooperiert die YPG militärisch wieder mit dem Regime und ließ Truppen der Regierung von Machthaber Baschar al-Assad in ihre Gebiete vorrücken, quasi als Schutz gegen die türkische Armee. Doch das ist ein reines Interessenbündnis aus der Not. Assad selbst will ganz Syrien wieder unter seine Kontrolle bringen und dürfte auch vor einem Feldzug gegen die YPG nicht zurückschrecken, sollte sich ihm die Chance bieten. Am Ende könnte die Miliz ihr gesamtes Territorium wieder verlieren.

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