Brexit-Streit Britisches Parlament stimmt gegen Neuwahl

London · Das britische Unterhaus hat die Pläne der Regierung abgelehnt. Premierminister Boris Johnson erreichte nicht die erforderliche Zweidrittelmehrheit.

 Premierminister Boris Johnson plant, am heutigen Dienstag mit Hilfe eines Gesetzes erneut eine Neuwahl zu erzwingen. 

Premierminister Boris Johnson plant, am heutigen Dienstag mit Hilfe eines Gesetzes erneut eine Neuwahl zu erzwingen. 

Foto: AP/Matt Dunham

Dass Großbritannien nun offiziell später aus der EU ausscheidet – nach aktuellem Stand spätestens am 31. Januar – schob Premierminister Boris Johnson am Montag auch auf das Parlament, das gegen den Willen des Volkes den Bre-
xit verhindern wolle, indem es am vorvergangenen Wochenende den Zeitplan für die Ratifizierung des Austrittsgesetzes abgelehnt hat. Die Lösung des Premiers? Ein neues Parlament. Eines, in dem Johnson eine Mehrheit hält.

Deshalb ließ der Regierungschef am Montagabend über vorgezogene Wahlen am 12. Dezember abstimmen. Doch nur 299 Parlamentarier votierten für den Vorstoß, 70 sprachen sich dagegen aus. Johnson hätte eine Zweidrittelmehrheit benötigt und damit 434 Stimmen. Aber die größte Oppositionspartei Labour sperrte sich. „Er kann rennen, aber sich nicht für immer verstecken“, provozierte Johnson seinen Widersacher Jeremy Corbyn im Vorfeld. Der Oppositionschef konterte, zuerst müsse die Möglichkeit eines ungeregelten Brexits ohne Deal „sicher und endgültig“ vom Tisch sein.

Aufgeben will Johnson trotzdem nicht, wie es aus Regierungskreisen hieß. Bereits am heutigen Dienstag plant Johnson einen weiteren Versuch, den Urnenganz zu erzwingen. So könnte er ein Gesetz einbringen, für dessen Verabschiedung lediglich eine einfache Mehrheit genügen würde. Die Erfolgsaussichten stehen deutlich besser, denn ausgerechnet ein Teil der proeuropäischen Opposition könnte ihm zur Hilfe kommen.

So haben sowohl die Liberal-Demokraten als auch die Scottish National Party (SNP) angekündigt, eine Wahl am 9. Dezember unterstützen zu wollen, wenn auch unter Auflagen. Welche Bedingungen sie im Verlauf des Gesetzgebungsprozesses stellen würden, war zunächst nicht klar. In Westminster machten Spekulationen die Runde, nach denen die Pro-Europäer fordern könnten, dass auch auf der Insel lebende EU-Bürger sowie 16- und 17-Jährige das Recht erhalten könnten, ihr Kreuz zu setzen.

Ob die Parlamentarier beider Parteien aber wirklich geschlossen hinter der Idee stehen, ist zweifelhaft. Der SNP-Abgeordnete Angus MacNeil etwa sagte, er würde keineswegs „Boris Johnson ein Weihnachtsgeschenk überreichen“, indem der Schotte für vorgezogene Wahlen stimme. Tatsächlich präsentieren sich alle Seiten gespalten. Innerhalb der Labour-Partei befürworten einige den zügigen Urnengang, andere fordern zunächst ein zweites Referendum. Wieder andere befürchten, mit dem Sozialisten Corbyn als Oppositionsführer könnte eine vorweihnachtliche Wahl in einer Katastrophe für die Sozialdemokraten enden.

In einigen konservativen Kreisen herrscht ebenfalls Ärger. Die Hardliner wüten über Johnsons Fokus, Neuwahlen abzuhalten und nicht erst zu versuchen, den Brexit über die Ziellinie zu bringen. Ihre Angst, frustrierte Wähler an die Brexit-Partei zu verlieren, ist groß. Und so mögen die Chancen für den Premier am heutigen Dienstag zwar etwas besser stehen, von solider Unterstützung für seinen Plan wollte gestern aber niemand sprechen.

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