Britischer Premierminister Johnson will notfalls doch Brexit-Verschiebung beantragen

Edinburgh/London · Er wolle „lieber tot im Graben“ liegen, als eine Verlängerung der Frist zu beantragen, sagte der britische Premier vor Kurzem. Nun scheint er davon abzuweichen.

 Der britische Premier Boris Johnson wird im Brexit-Streit offenbar klein beigeben.

Der britische Premier Boris Johnson wird im Brexit-Streit offenbar klein beigeben.

Foto: dpa/Kirsty Wigglesworth

Der britische Premierminister Boris Johnson will Berichten zufolge doch eine Verlängerung der Brexit-Frist beantragen, sollte kein Deal mit der Europäischen Union zustande kommen. Das geht der britischen Nachrichtenagentur PA zufolge aus einem Dokument hervor, das am Freitag einem Gericht in Schottland vorgelegt wurde. Ein Regierungssprecher wollte sich nicht dazu äußern.

Einen grundlegenden Kurswechsel Johnsons sahen britische Medien aber noch nicht gekommen. Die BBC berichtete unter Berufung auf Regierungsquellen, die Regierung halte einen No-Deal-Brexit am
31. Oktober dennoch weiterhin für möglich. Spekuliert wurde, London könnte eine Ablehnung des Antrags durch die EU provozieren, beispielsweise mit der Drohung, Entscheidungen in Brüssel künftig zu blockieren. Einem Antrag auf Verlängerung müssten alle 27 bleibenden EU-Staaten zustimmen.

Irlands Regierungschef Leo Varadkar signalisierte am Freitag seine Bereitschaft, einer weiteren Brexit-Verschiebung zuzustimmen. Ein Aufschub sei besser als ein EU-Austritt der Briten ohne Abkommen, sagte Varadkar nach Gesprächen mit der dänischen Ministerpräsidentin Mette Frederiksen in Kopenhagen. Wenn Großbritannien eine Verlängerung beantrage, werde man das überdenken, sagte er. Die meisten EU-Mitgliedstaaten würden dies aber nur bei einem guten Grund in Betracht ziehen.

Das britische Parlament hatte im September ein Gesetz verabschiedet, das den Premier dazu verpflichtet, eine Verlängerung der ­Brexit-Frist zu beantragen, sollte bis zum 19. Oktober kein Abkommen ratifiziert sein. Johnson zeigte sich davon aber bisher unbeeindruckt und drohte weiter mit einem ungeregelten Austritt am 31. Oktober. Vor Kurzem sagte er noch, er wolle „lieber tot im Graben“ liegen, als um eine Verschiebung des EU-Austritts zu bitten.

Abgeordnete wollen nun gerichtlich feststellen lassen, dass Johnson das Gesetz befolgen muss. Dem scheint Johnson nun zuvorgekommen zu sein. Bei einer Anhörung vor dem Obersten Gericht Schottlands wurde PA zufolge am Freitag ein Dokument von der Regierung eingebracht, aus dem hervorgeht, dass der Regierungschef den Antrag stellen wird, sollte kein Deal zustande kommen.

Daher wird nun spekuliert, ob Johnson ein anderes Schlupfloch finden könnte. Er hatte jedoch stets betont, dass er nicht gegen das Gesetz verstoßen und das Land trotzdem am 31. Oktober aus der Staatengemeinschaft führen werde.

Ein Ausweg wäre, doch noch eine Einigung mit Brüssel im Streit um die irische Grenze zu erreichen. Das ist schwierig. Brüssel und Dublin wollen Waren- und Zollkontrollen zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland nach dem Brexit vermeiden, um den Friedensprozess in der ehemaligen Bürgerkriegsregion nicht zu stören. Johnson will sein Land von der EU-Handelspolitik abkoppeln, um eigene Freihandelsverträge mit Drittstaaten zu schließen – er glaubt, die notwendigen Zollkontrollen könnten mithilfe von Technologie abseits der Grenze stattfinden.

Erst kürzlich hatte Johnson dafür neue Vorschläge an Brüssel übermittelt. Doch die trafen bislang überwiegend auf große Skepsis. EU-Parlamentspräsident David Sassoli hält sie für absolut unzureichend. „Zumindest in ihrer gegenwärtigen Form sind die britischen Vorschläge nicht mal ansatzweise eine Grundlage für ein Abkommen, dem das Europäische Parlament zustimmen könnte“, sagte Sassoli dem „Spiegel“. Auch die EU-Kommission sieht noch problematische Punkte im britischen Vorschlag.

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