Beitrittsgespräche Die EU öffnet die Türen in Richtung Westbalkan

Brüssel · Es ist ein ungewöhnlich deutlicher Appell aller Präsidenten der EU-Institutionen: Die Gemeinschaft stehe „vor einer strategischen Entscheidung“, schrieben Ratspräsident Donald Tusk, EU-Parlamentspräsident David Sassoli, Kommissionschef Jean-Claude Juncker und – was ungewöhnlich ist – auch seine designierte Nachfolgerin Ursula von der Leyen in einem Aufruf an die Mitgliedstaaten am Donnerstag.

„Nordmazedonien und Albanien haben getan, worum wir sie gebeten haben.“ Und weiter: „Wir glauben, dass es an der Zeit ist, die Beitrittsgespräche mit den beiden Ländern zu eröffnen.“

Sechs Jahre hat die EU die Türe für potenzielle neue Mitglieder geschlossen gehalten. In Brüssel galt das Prinzip, zuerst müsse die Gemeinschaft geschlossener werden, um reif für neue Mitglieder zu sein. Das lag an schlechten Erfahrungen: So sind Rumänien und Bulgarien, obwohl seit vielen Jahren EU-Länder, immer noch nicht wirklich reif für diese Union. Kroatien war der bislang letzte Staat, der am 1. Juli 2013 in die Union integriert wurde. Aber gleichzeitig ist man mit der Perspektive auf einen Platz am Tisch in Brüssel auf dem Balkan hausieren gegangen und hat große Versprechungen gemacht. Inzwischen laufen Verhandlungen über einen Beitritt Serbiens und Montenegros – die Kommission spricht von einem Aufnahmedatum im Jahr 2025. Doch einige Mitgliedstaaten sind skeptisch, ob die notwendigen Reformen bis dahin umgesetzt sind.

Wenn die Außenminister bei ihrer turnusmäßigen Tagung Mitte des Monats zustimmen, könnten die Erweiterungsgespräche nun auch mit Nordmazedonien und Albanien beginnen. Der Beschluss muss einstimmig fallen, bis zuletzt gab es immer wieder Blockierer wie die Niederlande, Dänemark und Frankreich. Das Vorpreschen der vier Präsidenten ist ein wichtiges Signal: „Die Entscheidung ist ein Test für die Fähigkeit der Union, ihre Versprechen zu erfüllen“, heißt es in den Appell mahnend.

Noch im Mai hatte Brüssel von Albanien „weitere Ergebnisse im Kampf gegen Korruption auf allen Ebenen und gegen organisiertes Verbrechen“ verlangt. Nordmazedonien wurde aufgefordert, zusätzliche Reformen in der Justiz, der Verwaltung und bei den Sicherheitsbehörden vorzunehmen. Das entspricht einem Beschluss des Bundestages, der Beitrittsverhandlungen Mitte des Jahres zugestimmt und gleichlautende Forderungen erhoben hatte. Aber zwischen den Mitgliedstaaten ist umstritten, ob solche Umbauten im Inneren eines Kandidatenlandes vor den Aufnahmegesprächen vorgenommen werden müssen oder während der Verhandlungen. Der bisherige EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn sagte im Mai: „Beide Länder haben bereits geliefert.“ Nordmazedonien wechselte sogar seinen Landesnamen, was eine emotional belastende Herausforderung war.

Gut fünf Millionen Bürger in den zwei Staaten hoffen auf die Perspektive, in Brüssel gemeinsam mit den übrigen 27 an einem Tisch zu sitzen. Noch in diesem Monat wollen Albanien und Nordmazedonien mit Serbien zusammen eine Art „kleinen Schengen-Raum“ mit nach innen offenen Grenzen und stärkerer wirtschaftlicher Zusammenarbeit gründen. Man will vor allem den Bedenken entgegentreten, dass jedes diese Länder für sich genommen zu klein sei, um globale Investoren anzuziehen.

Die Menschen vor Ort hoffen sehr drauf, dass die EU-Mitgliedstaaten in diesem Oktober der Aufnahme von Beitrittsgesprächen zustimmen. Denn die Erfahrungen anderer Staaten auf dem Weg in die EU zeigen: Allein der Status eines Kandidaten trug zur wirtschaftlichen und sozialen Verbesserung der Lage vor Ort erheblich bei. Das dürfte auch nötig sein, denn bis zu einer Erweiterung der Union könnten noch bis zu zehn Jahre vergehen.

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