Oktoberrevolution Als die Bolschewiki in Petrograd die Kontrolle übernahmen

St. Petersburg · Von Nils Sandrisser

Durch den Abend des 7. November 1917 hallt ein Kanonenschuss. Es ist das Sig­nal zur Revolution: Rotgardisten und bewaffnete Arbeiter stürmen in Russlands Hauptstadt Petrograd, dem heutigen St. Petersburg, den Winterpalast, wo die provisorische Regierung sitzt. Sie rennen stuckverzierte Treppen hinauf, kämpfen sich verlustreich durch die 1100 Zimmer des Palasts. So jedenfalls zeigt es der Propagandafilm „Oktober“ von 1927 des Regisseurs Sergej Eisenstein.

Historisch ist daran nicht allzu viel wahr. Den harten Kampf um den Winterpalast gab es nie. Die provisorische Regierung lässt sich fast widerstandslos festnehmen. Es fallen einige Schüsse, sechs Menschen sterben. Die „Große Sozialistische Oktoberrevolution“ ist vorbei – sie heißt so, weil der 7. November nach dem damals in Russland gültigen Julianischen Kalender der 25. Oktober ist. Die kommunistischen Bolschewiki unter Führung von Wladimir Iljitsch Lenin haben die Macht.

„Die provisorische Regierung stand schutzlos und ohne Ansehen da“, erklärt der Bonner Historiker Martin Aust ihren schnellen Kollaps. Im Frühjahr, nach dem Sturz des Zaren, war das noch anders gewesen. Weil wegen des Ersten Weltkriegs Lebensmittel knapp waren, hatten im Februar tagelang Frauen und Arbeiter protestiert. Am 25. Februar wechselte eine Petrograder Armee-Einheit die Seiten. Weitere Einheiten folgten, meuternde Matrosen benannten ihre Kriegsschiffe um. Soldaten und Arbeiter bildeten Räte – die Sowjets – und erhoben Anspruch auf lokale Regierungsgewalt.

Das Armeekommando, das schon längst der Ansicht war, dass der Zar ein Hindernis sei, legte Nikolaus II. den Thronverzicht nahe. Der fügte sich und bestimmte seinen Bruder Michail zum Nachfolger. Michail allerdings verspürte nach Austs Worten „keine Lust, in Kürze an einem Petrograder Laternenmast zu baumeln“. Russland wurde Republik. Am 15. März 1917 bildete sich die provisorische Regierung aus Liberalen und Konservativen unter Alexander Kerenski.

Doch der Krieg ging auch nach dieser Februarrevolution glücklos weiter, innenpolitisch blieb die Lage instabil. Das lag auch an dem Nebeneinander der Arbeiter- und Soldatenräte und Kerenskis Regierung. Letztere sei viel zu zögerlich gewesen und habe Entscheidungen viel zu oft aufgeschoben, sagt die Heidelberger Historikerin Felicitas Fischer von Weikersthal. „So waren für die Bevölkerung im Alltag keine wesentlichen Schritte von Seiten der Regierung zur Verbesserung der Lage spürbar.“

Die Bolschewiki nutzten das geschickt, Lenin trieb sie an. Im April erst war er aus dem Schweizer Exil zurückgekehrt – mit deutscher Hilfe. Bereits im Juli hielt er die Zeit für die Machtübernahme gekommen. Aber die provisorische Regierung ließ den „Juli-Aufstand“ der Bolschewiki zusammenschießen, Lenin ging in den Untergrund.

Im Oktober ist die Zeit tatsächlich reif. „Die Macht liegt auf der Straße, sie gehört dem, der sie sich nimmt“, lautet ein Lenin zugeschriebenes Zitat. Schon am 6. November, dem Vorabend der Oktoberrevolution, besetzen Rotgardisten strategische Punkte in Petrograd. Die Revolution ist im Grunde ein Staatsstreich – nur, dass ein Staat kaum mehr existiert.

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