Carles Puigdemon Harte Hand gegen Separatisten weckt Kritik

Madrid · Die Hauptfigur im Politdrama erscheint nicht zum Verhör: Puigdemont will Zeit kaufen. Doch die spanische Justiz kann sich kaum vorführen lassen – und zieht ihre Register.

 Eine Menschenmasse versammelt sich gestern vor der Generalitat in Barcelona, um ihre Unterstützung für die vor Gericht erschienenen Politiker zum Ausdruck zu bringen. 

Eine Menschenmasse versammelt sich gestern vor der Generalitat in Barcelona, um ihre Unterstützung für die vor Gericht erschienenen Politiker zum Ausdruck zu bringen. 

Foto: dpa/Manu Fernandez

() Das harte Vorgehen der spanischen Justiz gegen die katalanischen Separatisten bringt sogar erfahrene Staranwälte ins Schwitzen. „Das geht alles so schnell, ich kann meine Gedanken kaum ordnen“, sagte gestern einer der Rechtsberater der Angeklagten, Jaume Alonso-Cuevillas, mit nervösem Lächeln im TV. Kurz zuvor hatte Richterin Carmen Lamela am Madrider Staatsgericht neun Mitglieder der entmachteten Regionalregierung hinter Gitter geschickt.

Dass die Richterin für die neun, die im Gegensatz zu den fünf übrigen Kollegen um Ex-Regionalpräsident Carles Puigdemont zum Verhör erschienen waren, Untersuchungshaft anordnete, sorgte für Kritik und Empörung. Für acht von ihnen wurde sogar U-Haft ohne Recht auf Freilassung auf Kaution beschlossen. Nach dem Verhör wurden die betroffenen Politiker abends zu verschiedenen Haftanstalten im Madrider Umland gefahren.

Harte Hand. Härter als nötig? „Schwarzer Tag für Katalonien. Die an den Urnen demokratisch gewählte Regierung muss ins Gefängnis“, klagte auf Twitter die linke Bürgermeisterin Barcelonas, Ada Colau. Nach spanischen Medienberichten verfasste Lamela zudem am Abend europäische Haftbefehle für Puigdemont und vier ehemalige Minister der entmachteten Regierung, die sich alle nach Belgien abgesetzt hatten. Eine offizielle Bestätigung gab es dafür zunächst nicht. Aber hat die Richterin eine Wahl? Immerhin hatten die fünf unter anderem der Rebellion bezichtigten Politiker eine Vorladung des Gerichtes missachtet.

Vor dem Staatsgericht sollten sich insgesamt 14 angeklagte Separatisten zum Vorwurf der Rebellion äußern. Doch der „Hauptdarsteller“ erschien nicht. Zur Stunde, als seine Mitstreiter vor Richterin Lamela saßen, wurde er von spanischen Reportern in einer Cafeteria in Brüssel fotografiert. Dazu schickte er Botschaften von der „legitimen Regierung Kataloniens“ in Richtung Spanien. Damit wollte er augenscheinlich zeigen, dass die Gerichte in Spanien von der Politik beeinflusst sind und ihn kein fairer Prozess erwartet.

Im Falle eines Haftbefehls gegen ihn könnte er eine Auslieferung einige Zeit hinauszögern. Die Entscheidung hängt vor allem von den belgischen Behörden ab. Mit seiner Abwesenheit fügte Puigdemont seinen ehemaligen in Spanien gebliebenen Mitstreitern einigen Schaden zu. Unter dem Eindruck der Ausreise von Puigdemont & Co. führte Lamela als Grund für ihre U-Haft-Entscheidung auch Fluchtgefahr an. Wer sich nicht der Justiz stelle, bringe auch den Rest der Angeklagten in Bedrängnis, hatte zuvor auch der Anwalt der ehemaligen katalanischen Parlamentspräsidentin Carme Forcadell geklagt.

Richterin Lamela stand vor einem Dilemma. Auf der einen Seite konnte sie es sich nicht leisten, dass die Angeklagten, die der Vorladung gefolgt sind, wegen der Nichtverhängung von vorbeugenden Maßnahmen es sich doch anders überlegen und Reißaus nehmen. Wie das etwa der frühere Kulturminister Lluis Puig nach Medienberichten ganz kurz vor seiner Vernehmung getan hatte. Aber die Richterin weiß auch, dass sie mit der Anordnung von U-Haft den Konflikt zusätzlich schüren könnte.

Beobachter warnen schon seit Wochen vor einer „Demütigung“ der Menschen in Barcelona, in den Bergdörfern, in denen nur Katalanisch gesprochen wird, und der ganzen Region. Das Bild von gewählten katalanischen Volksvertretern hinter Gittern könne schlimme Konsequenzen haben, meint auch Artur Mas. „Je mehr Öl man ins Feuer gießt, desto größer wird das Feuer“, sagte der Vorgänger Puigdemonts.

Der 61-jährige Wirtschaftswissenschaftler hat allem Anschein nach im Lager der Separatisten eine Schlüsselrolle inne. Er könnte Risse kitten, so dass seine liberale PDeCAt und die Republikanische Linke Kataloniens (ERC) bei den Wahlen am 21. Dezember erneut als geschlossene Einheit antreten. Der „alte pragmatische Fuchs“, wie die Zeitung „El Confidencial“ Mas nannte, könnte es nach Meinung vieler sogar eher als Puigdemont schaffen, dass die Befürworter einer Trennung von Spanien in knapp zwei Monaten wieder Oberwasser bekommen.

Einige Beobachter in Katalonien meinen, die spanische Richterin Lamela habe Mas gestern Schützenhilfe geleistet.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort