100 Jahre Balfour-Deklaration Gründungsurkunde des Nahostkonflikts?

JERUSALEM (kna) Der verfluchte Krieg nahm für Großbritannien kein Ende. Auf den Schlachtfeldern Flanderns und Nordfrankreichs waren bereits Hunderttausende Briten im Kampf gegen Deutschland gefallen. Englands Verbündeter, das revolutionäre Russland, drohte auszufallen, Frankreichs Armee war nach drei Kriegsjahren erschöpft, der Kriegseintritt der USA zeigte noch kaum Wirkung und die Türken leisteten im Nahen Osten zähen Widerstand. In dieser Lage erkaufte sich London mit der Balfour-Deklaration vom 2. November 1917 die Unterstützung der einflussreichen Zionistischen Weltorganisation. Die Erklärung des britischen Außenministers Arthur Balfour war eine der folgenschwersten des Jahrhunderts.

„Die Regierung Seiner Majestät betrachtet mit Wohlwollen die Errichtung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina und wird ihr Bestes tun, die Erreichung dieses Zieles zu erleichtern“, heißt es in dem Schreiben an den Bankier und Lord Lionel Walter Rothschild, einen der führenden Zionisten Englands. Balfour fügte hinzu, die Rechte der nichtjüdischen Gemeinschaften in Palästina dürften nicht in Frage gestellt werden.

Nüchtern betrachtet handelte es sich bei der Balfour-Deklaration um einen ziemlich unverfrorenen Deal. Da sicherte ein britischer Minister einem britisch-zionistischen Lord die Unterstützung in einer Weltgegend zu, die England noch gar nicht erobert und deren arabische Bevölkerung – die übergroße Mehrheit der Bewohner Palästinas – keinen blassen Schimmer von derlei Absprachen hatte. Im Gegenteil: Noch glaubten die Araber einer englischen Zusage aus dem Jahr 1915, die auch ihnen einen eigenen Nationalstaat als Gegenleistung für Hilfe gegen die Türken in Aussicht stellte – inklusive Palästina.

„Betrügerisch“ nennt der deutsch-israelische Historiker Michael Wolffsohn dieses Versprechen an die Araber. Denn in Wahrheit verfolgte London nur die eigenen imperialistischen Ziele: Im Sykes-Picot-Abkommen vom Mai 1916 teilten Großbritannien und Frankreich den Nahen Osten unter sich auf. London beanspruchte Palästina, das heutige Jordanien und den Irak als strategisch wichtige Landbrücke nach Britisch-Indien und nahm die Gebiete bis 1918 in Besitz.

Nach dem Sieg fiel den Engländern ihre Kriegsdiplomatie auf die Füße. 1922 wurde Palästina britisches Mandatsgebiet und die Balfour-Deklaration völkerrechtlich verbindlich. Während Zionisten nun auf eine möglichst ungebremste jüdische Einwanderung drängten, um die Staatswerdung voranzutreiben, und immer mehr Land aufkauften, wehrten sich die palästinensischen Araber oft mit Gewalt. England versuchte diesen Hexenkessel nach seinem bewährten Kolonialrezept „Teile und herrsche“ zu kontrollieren, indem es mal dieser, mal jener Seite entgegenkam.

Der antisemitische Massenmord durch Nazi-Deutschland machte die Notwendigkeit einer sicheren jüdischen Heimat dann umso drängender. 1947 zogen sich die erschöpften Briten unter dem Eindruck radikalzionistischer Terroranschläge aus Palästina zurück und überließen die Entscheidung der UN. Sie stimmte gegen erbitterten arabischen Widerstand einem Teilungsplan zu, der 1948 zur Gründung des Staates Israel führte – und einer Geschichte von Kriegen, Vertreibung und Leid, die die Welt bis heute erschüttert.

Dementsprechend umstritten bleibt die Balfour-Deklaration. Für Araber ist das Dokument die Gründungsurkunde des Nahostkonflikts, aus Sicht vieler Israelis dagegen der notwendige erste Schritt zu einer gerechten Staatsgründung.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort