Wenn Autofahrer zu Straftätern werden

Goslar. Das Szenario gibt es immer wieder: Es regnet und es ist dunkel - das Licht entgegenkommender Autos spiegelt sich auf der Straße. Auf der Rückbank quengelt ein Kind. Der Fahrer dreht sich nach hinten. Als er wieder nach vorne sieht, taucht ein Schatten vor ihm auf. Es kracht. Die Bremsen quietschen - zu spät. Auf der Fahrbahn liegt ein schwer verletzter Radfahrer, der später stirbt

 Vielen Unfällen geht keine Fahrlässigkeit voraus. Foto: Scholz/dpa

Vielen Unfällen geht keine Fahrlässigkeit voraus. Foto: Scholz/dpa

Goslar. Das Szenario gibt es immer wieder: Es regnet und es ist dunkel - das Licht entgegenkommender Autos spiegelt sich auf der Straße. Auf der Rückbank quengelt ein Kind. Der Fahrer dreht sich nach hinten. Als er wieder nach vorne sieht, taucht ein Schatten vor ihm auf. Es kracht. Die Bremsen quietschen - zu spät. Auf der Fahrbahn liegt ein schwer verletzter Radfahrer, der später stirbt. Der Autofahrer wird wegen fahrlässiger Tötung angeklagt.Nach Angaben des Auto Club Europa (ACE) wurden 2010 bundesweit 714 Autofahrer wegen fahrlässiger Tötung und rund 13 500 wegen fahrlässiger Körperverletzung im Straßenverkehr verurteilt. Dabei hängt es, so Experten, oft vom Zufall ab, ob ein zuvor unbescholtener Autofahrer zum Kriminalstraftäter wird. Beim 50. deutschen Verkehrsgerichtstag (VGT) wird deshalb über eine mögliche Entkriminalisierung von Verkehrsdelikten diskutiert.

Die Deutsche Akademie für Verkehrswissenschaft hat die Frage aufgeworfen, ob strafrechtliche Sanktionen erforderlich sind, wenn Unfallfahrer doch ohnehin zivilrechtlichen Schadenersatz leisten müssen.

Bei Automobilclubs und Verkehrsanwälten stoßen die Überlegungen auf Kritik. Die Diskussion zur Entkriminalisierung von Verkehrsdelikten habe zwar eine gewisse Berechtigung, sagt Volker Lempp vom Auto Club Europa. Schon leichte Sorgfaltsverstöße könnten zu Personenschäden führen. Der ACE sei aber gegen ein "privilegierendes Sonderrecht" für Verkehrssünder. Straftaten im Verkehr dürften nicht zu Ordnungsdelikten herabgestuft werden. Vor allem, weil oft eine gefährliche Fahrweise zu Unfällen führe. Jan Backmann aus dem schleswig-holsteinischen Justizministerium tritt als Referent beim Verkehrsgerichtstag dafür ein, Fahrfehler nur zu bestrafen, wenn der Täter leichtfertig gehandelt oder das Opfer schwere Körperverletzungen oder sogar den Tod erlitten hat. Für den ADAC stehe der Opferschutz im Vordergrund, sagte der Jurist Michael Nissen. Eine Beschränkung der Strafbarkeit auf Fälle, in denen Leichtfertigkeit zu schweren Unfallfolgen führe, könne man aber diskutieren. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) meint, rechtlich könne alles beim Alten bleiben. Denn: "Das geltende Recht bietet ein breites Spektrum von möglichen Ahndungsformen", sagt DAV-Verkehrsanwalt Frank Häcker. Bestraft werden sollten Fahrfehler, wenn der Täter leichtfertig handelte oder seine Handlung beim Opfer eine schwere Körperverletzung verursacht hat.

Auch der Richter am Bundesgerichtshof Jürgen Cierniag hält nichts von einer Gesetzesänderung. Mit der Möglichkeit, das Verfahren einzustellen, habe der Gesetzgeber der Justiz bereits ein bei Straßenverkehrsdelikten weithin genutztes Instrument zur Entkriminalisierung an die Hand gegeben. Zu diskutieren sei, ob die Staatsanwaltschaften bei der Einstellung von Verfahren überall in gleicher Weise vorgehen sollten. Das fordert auch der Anwaltverein. Derzeit hingen die Urteile sehr von der jeweiligen Staatsanwaltschaft oder dem Gericht ab, sagt DAV-Experte Häcker.

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