Die Gesellschaft ohne Bauch

Meinung · Macht Deutschland weiter wie bisher, droht Millionen Menschen bis 2020 der Abstieg aus der Mittelschicht. Zu diesem Fazit kommt eine Studie der Unternehmensberatung McKinsey, die sich wie eine Horrorgeschichte liest. Schenkt man den Thesen der Ökonomen Glauben, dann hat der Druck der Globalisierung die deutsche Gesellschaft rascher verändert als bislang angenommen

Macht Deutschland weiter wie bisher, droht Millionen Menschen bis 2020 der Abstieg aus der Mittelschicht. Zu diesem Fazit kommt eine Studie der Unternehmensberatung McKinsey, die sich wie eine Horrorgeschichte liest. Schenkt man den Thesen der Ökonomen Glauben, dann hat der Druck der Globalisierung die deutsche Gesellschaft rascher verändert als bislang angenommen.Ehemals gut situierte Bürger, denen der Gedanke an einen möglichen Abstieg bislang fremd war, droht der Sturz in Altersarmut, wenn die Politik den Reformstau nicht rasch auflöst und damit der Wirtschaft hilft zu wachsen. Noch vor acht Jahren lag der Anteil der Bevölkerung, der mittelmäßig gut verdiente, bei 62 Prozent, heute sind es nur noch 54 Prozent. Zugleich wuchsen die Ränder der Gesellschaft um 23 Prozent.

Diese Entwicklung ist zwar nicht neu, historisch betrachtet aber bedeutsam. Jahrzehntelang durften sich mehr als 60 Prozent der Bundesbürger zur Mittelschicht rechnen. Soziologen verglichen deshalb den Aufbau der deutschen Gesellschaft mit einer Zwiebel - eine dicke Knolle in der Mitte mit schmalen Enden. Bis zum Jahr 2000 blieb dieses Modell weitgehend stabil. Seither büßt die Zwiebel Schale um Schale ein. Die Gesellschaft verliert sozusagen ihren Bauch. Eine ungesunde Diät.

Pass&; ist die Formel, wonach derjenige, der in der Mittelschicht angekommen ist, dort auch ein Leben lang bleibt. Umstrukturierung und Entlassungen bei Unternehmen wie Siemens, BMW, Nokia, die früher absolute Jobsicherheit boten, lösen Ängste und Verunsicherung aus.

Erklären, aber nicht gut heißen, lässt sich der fatale Trend durch zwei Phänomene. Erstens baut die Globalisierung einen Konkurrenzdruck auf, der sich unmittelbar auf das Lohnniveau niederschlägt. Während niedrig qualifizierte Jobs aus Deutschland verschwinden, bleiben die Arbeiter zurück, die Löhne fallen. Die Politik tut das Ihrige, etwa mit den Hartz-Gesetzen. Lohn-Ersatzleistungen wurden gestrichen, der Absturz in die unteren Schichten so beschleunigt. Entscheidend aber dürfte ein zweiter Faktor sein: Die Art und Weise, wie Menschen hier zu Lande beschäftigt sind, ändert sich. Hatten im Jahr 2000 noch 64 Prozent der arbeitenden Bevölkerung Vollzeit-Stellen inne, sank dieser Anteil bis 2006 auf 55 Prozent. Zeitverträge, Mini- und Teilzeit-Jobs - Angehörige der Mittelschicht arbeiten öfter als früher in prekären Verhältnissen. Und die bieten keine Wohlstands-Garantie auf Dauer.

Um dies zu erkennen, braucht es übrigens nicht McKinsey & Co. Dazu reichen der gesunde Menschenverstand sowie ein wenig Weitblick und Fantasie.

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