Im Schatten von Tony Blair

London. Mit dem Satz "I will listen and learn" (Ich werde zuhören und lernen) ist Gordon Brown vor einem Jahr als Premierminister Großbritanniens angetreten. Damit wollte der als herrisch und arrogant verschriene frühere Schatzkanzler seine Wandlung zum Wählerversteher dokumentieren

London. Mit dem Satz "I will listen and learn" (Ich werde zuhören und lernen) ist Gordon Brown vor einem Jahr als Premierminister Großbritanniens angetreten. Damit wollte der als herrisch und arrogant verschriene frühere Schatzkanzler seine Wandlung zum Wählerversteher dokumentieren. "I will listen and lead" (Ich werde zuhören und führen), sagte Brown jetzt nach den spektakulär verlorenen Kommunalwahlen. In seinem ersten Amtsjahr hat Brown womöglich zu viel zugehört und zu wenig gelernt. Zu wenig geführt hat er auf jeden Fall. Den Mann, der einst die britische Wirtschaft mit sicherer Hand steuerte, kennzeichnen nun Sprunghaftigkeit und Wankelmut. Das führte zu der schweren Niederlage in der ersten Abstimmung überhaupt über Brown. Die Nachfolge Tony Blairs hatte er per Akklamation durch die Labourpartei, aber ohne Legitimation durch die Wähler angetreten. Bis 2010 hat Brown Zeit, die nächsten Unterhauswahlen ausrufen zu lassen.Ausgerechnet dem einst erfolgreichen Finanzminister wird offenbar nicht zugetraut, das Land in wirtschaftlich schwierigen Zeiten zu führen. Sein Abstieg zum Zauderer begann, als Brown seinen Beratern zuhörte und Unterhauswahlen, mit denen auf der Insel im Herbst gerechnet worden war, wegen fallender Umfragewerte kurzfristig abblies. Und dieser Niedergang erreichte in den Tagen vor den Kommunalwahlen einen vorläufigen Tiefpunkt. Auf Browns ureigenem Gebiet, bei der Steuerpolitik, machte die Labourregierung eine spektakuläre Kehrtwende. Eine im Haushaltsplan verkündete Änderung der Steuersätze wurde verwässert. Es hatte sich herausgestellt, dass die neuen Sätze Geringverdiener stärker belasten. Brown bekam Angst und kündigte Kompensationspakete an. Mit der Folge, dass es jetzt Zweifel am Gesamtbudget gibt und viele Briten nicht mehr wissen, wo sie bei den Steuern nun dran sind.All das spielt David Cameron in die Hände. Doch der konservative Oppositionsführer weiß, dass er trotz des jetzigen Erfolges noch längst nicht am Ziel ist. Denn zum einen sind bei Kommunalwahlen immer auch lokale Themen wichtig. Zum anderen ist der landesweit hohe Stimmenanteil für die Konservativen ein wenig verlässlicher Gradmesser für Unterhauswahlen. Denn im britischen Mehrheitswahlrecht geht es nicht um Zahl und Prozentsatz der Stimmen im Land, sondern um die Mehrheit der Wahlkreise, die gewonnen werden muss, um das Vereinigte Königreich zu regieren. Das relativiert auch die auf den ersten Blick einschneidende Meldung, dass Labour bei den Stimmanteilen jetzt hinter die Liberaldemokraten auf Platz drei zurückgefallen ist. Trotzdem ist Browns Niederlage neben allen persönlichen Aspekten auch symptomatisch für die Situation der Sozialdemokratie in Europa, die nach ihrer Blütezeit in den 90er Jahren vielerorts ihre Identifikationskraft verloren hat. Ob in Deutschland, Italien, Frankreich oder jetzt Großbritannien: Die Zeiten, in denen Tony Blair an der Spitze von "New Labour" als Symbol einer neuen Sozialdemokratisierung Europas galt, sind vorbei. Zwar schöpft Brown noch Hoffnung aus dem Vergleich der aktuellen Niederlage mit den letzten Kommunalwahlen, bei denen Labour ebenfalls deutlich verlor, um dann die Unterhauswahlen 2005 zu gewinnen. Doch hatten Partei und Regierung in Blair damals einen ungleich charismatischeren Chef. Gordon Brown wirkt da nur wie eine Übergangslösung. Nach dieser Wahl noch umso mehr.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort