Die bitteren Lehren aus dem Fall Mollath

München · Im katholischen Bayern weiß man: So eine Monstranz, die man vor sich her trägt, ist meistens ziemlich schwer. Und wenn sie auf die Füße fällt, ist das überaus schmerzhaft.

Genau das ist der bayerischen Justizministerin Beate Merk im Fall Gustl Mollath mit ihrem Hochhalten der richterlichen Unabhängigkeit widerfahren. Jetzt ist sie politisch gehbehindert und man weiß nicht, ob sie nach der Landtagswahl Mitte September noch einmal den Sprung ins Kabinett schaffen wird.

Merk ist Juristin, und als solche ist es verständlich, wenn sie richterliche Unabhängigkeit mit Kritikverbot und rechtskräftige Urteile mit göttlicher Wahrheit verwechselt. Das wird einem im Jura-Studium so beigebracht. Allerdings ist Merk nicht nur Juristin, sondern als Ministerin hauptsächlich Politikerin. Und als solche hat ihr erst der gelernte Stimmungspolitiker Horst Seehofer auf die Sprünge helfen müssen.

Die dritte Gewalt agiert nicht in einer Art Olymp, sondern ist Teil der Gesellschaft. Und wenn sie so versagt, wie dies im Fall Mollath - nach allem, was man weiß - der Fall ist, dann bekommt sie auch den Druck der Gesellschaft, der sie ja eigentlich dienen soll, zu spüren. Das ist so in Ordnung und noch längst kein Anschlag auf die verfassungsmäßigen Grundlagen der Republik. Nicht einmal der blauäugigste Verfechter der reinen Lehre von der Gewaltenteilung wird behaupten können, dass Mollath heute ebenfalls auf freiem Fuß wäre, wenn sich nicht Unterstützer, Medien und die Opposition im seines Falles angenommen hätten. Mollaths Rechtsmittel wären weiterhin abgeschmettert, seine Unterbringung in der Psychiatrie immer wieder angeordnet worden. Vielleicht geht es so noch vielen weiteren "Mollaths", von denen wir nichts wissen.

Das ist die bittere Lehre aus dem Fall: Die Fähigkeit zur Selbstkorrektur hat die bayerische Justiz gerade nicht unter Beweis gestellt. Der Rechtsstaat hat eben gerade nicht funktioniert. Was funktioniert hat, waren Demokratie und das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung. Sie haben dazu geführt, dass das Oberlandesgericht den Zwangsinsassen entlassen hat. Es spricht einiges dafür, dass das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe die Entlassung Mollaths angeordnet hätte, wenn das Gericht dies jetzt nicht getan hätte. Ein Schelm, wer die rasche Entscheidung in Nürnberg darauf zurückführt?

Die bayerische Justiz ist jetzt erst einmal die juristische, Merk die politische Verliererin der Affäre. Die Ministerin ist als Getriebene wahrgenommen worden, die Rückgrat nur einmal gezeigt hat: Gegenüber dem gefährlichen Irren Mollath, der zu Recht in der Psychiatrie sitzt, wie sie zum Anfang der Debatte mehrfach deutlich machte. Unter dem Eindruck der öffentlichen Meinung, vor allem aber wohl der ihres Chefs Seehofer, entdeckte sie dann ihr Mitleid und ließ einen Wiederaufnahmeantrag stellen.

Die Rücktrittsforderungen, die gestern noch einmal SPD und Grüne gegenüber Merk erhoben haben, erscheinen fünf Wochen vor dem Termin als unnötiges Wahlkampfgetöse. Seehofer weiß am besten um die fachlichen und charakterlichen Eigenschaften seiner Kabinettsmitglieder und wird - ein entsprechendes Wahlergebnis vorausgesetzt - schon wissen, was zu tun ist. Die Justiz wird nunmehr unter verschärfter öffentlicher Beobachtung stehen. Das muss nicht schlecht sein.

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