Das Schicksal der Liberalen

Meinung · Fast immer hat die FDP in Deutschland mitregiert, ohne Unterbrechung war sie seit Gründung der Bundesrepublik im Bundestag. Sie ist, wie der HSV für die Fußball-Bundesliga, Urgestein. Jetzt geht es für Genschers geschrumpfte Partei um die nackte Existenz

Fast immer hat die FDP in Deutschland mitregiert, ohne Unterbrechung war sie seit Gründung der Bundesrepublik im Bundestag. Sie ist, wie der HSV für die Fußball-Bundesliga, Urgestein. Jetzt geht es für Genschers geschrumpfte Partei um die nackte Existenz. Schafft sie es im Herbst nicht in den Bundestag, dann ist die gesamte Parteiprominenz, dann sind Brüderle, Westerwelle, Bahr, Rösler und andere plötzlich nur noch Ex-Politiker. Die Liberalen würden rasant Mitglieder verlieren, und einige der verbliebenen Kader würden womöglich der Verführung des anti-europäischen Populismus erliegen. Dann könnte diese historisch so bedeutsame Kraft sogar ins Sektierertum abrutschen.Es wirkt nicht so, als würden die führenden Köpfe der Liberalen die existenzielle Bedrohung auch nur ahnen. Dies wurde auch beim Dreikönigstreffen in Stuttgart deutlich. Vor allem in der Führung wird hinter den Kulissen und teilweise auf offener Bühne gegeneinander intrigiert, als gäbe es kein Morgen mehr. In ihrer selbstzerstörerischen Leichtfertigkeit unterscheiden sie sich alle nicht sehr voneinander - ob Niebel, Rösler, Kubicki oder Brüderle. Die Partei der Individualisten findet an ihrer Spitze keinen Gemeinsinn mehr. Auch deshalb, weil ihr der gemeinsame Kurs fehlt.

Der Niedergang war ein schleichender Prozess, der mit Westerwelle begann. In den Oppositionsjahren hat sich die FDP einseitig dem Neoliberalismus, den freien Finanzmärkten und der Steuersenkung verschrieben. Das Symbol dafür ist die in der Regierungszeit sogleich beschlossene Steuer-Ermäßigung für Hoteliers, gepaart mit einer Großspende von Mövenpick. Eine solche Politik passt nicht mehr in die Zeit. Doch Philipp Rösler lernt daraus nicht. Vielmehr wechselt er die Linien und Losungen fast nach Belieben und ergeht sich in hilflosen Profilierungsversuchen gegen die Kanzlerin und die Union.

Man kann Rösler, der gestern in Stuttgart abermals nicht überzeugte, austauschen. So wie man Westerwelle vor zwei Jahren ausgetauscht hat. Man kann Brüderle, der mit einer leidenschaftlichen Rede immerhin Kopf und Herz der Liberalen erreichte, übergangsweise installieren, bis der neue Hoffnungsträger Lindner zur Verfügung steht. Aber was wäre damit gewonnen? Die FDP braucht zuerst einmal eine inhaltliche Strategie-Debatte, ehe sie sich eine neue, seriöse Führung sucht. Sie muss wieder bürgerlich werden. Unternehmerfreundlich, aber mit Herz. Marktwirtschaftlich, aber nicht libertär. Den Bürgerrechten verpflichtet, aber nicht blind für Gefahren. Leistungsorientiert, aber mitfühlend.

Nach der Niedersachsen-Wahl, egal wie sie ausgeht, müssen die Liberalen mit dieser Arbeit der Neubesinnung beginnen, mit oder ohne Rösler. Und trotz der anstehenden Bundestagswahl. Sonst könnte es bald zu spät sein.

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