In Stuttgart beginnt heute eine neue Ära

Stuttgart. Heute übernimmt Fritz Kuhn für acht Jahre das Amt des Stuttgarter Oberbürgermeisters - als erster Grünen-Politiker steht er damit an der Spitze einer Landeshauptstadt. Kuhn bekleidet nach Winfried Kretschmann, dem ersten grünen Ministerpräsidenten eines Bundeslandes, das wohl zweitwichtigste Amt im Südwesten. Dabei kann er sich quasi ins gemachte Nest setzen

Stuttgart. Heute übernimmt Fritz Kuhn für acht Jahre das Amt des Stuttgarter Oberbürgermeisters - als erster Grünen-Politiker steht er damit an der Spitze einer Landeshauptstadt. Kuhn bekleidet nach Winfried Kretschmann, dem ersten grünen Ministerpräsidenten eines Bundeslandes, das wohl zweitwichtigste Amt im Südwesten. Dabei kann er sich quasi ins gemachte Nest setzen. Stuttgart ist schuldenfrei, rein rechnerisch hat derzeit jeder der rund 600 000 Bürger 10 000 Euro auf der hohen Kante. Es gibt kaum Arbeitslose, jeder Zehnte arbeitet im Fahrzeug- und Maschinenbau. Damit findet Kuhn eine gute Basis vor, um seinen Leitsatz umzusetzen: mit grünen Ideen schwarze Zahlen schreiben. "Der Reichtum der Stadt darf nicht weiter zulasten der Umwelt erwirtschaftet werden", ist der 57-Jährige überzeugt.Der bisherige OB Wolfgang Schuster (CDU) hinterlässt eine Stadt zwischen Innovation und Tradition, zwischen vielen Grünanlagen und Umweltproblemen, mit weltberühmter Architektur in der Weißenhofsiedlung und seelenlosen Banken-Betonriesen. Vor allem aber erbt Kuhn von Schuster eine Stadt, in der weiter eine Kluft zwischen Befürwortern und Gegnern des Bahnprojekts Stuttgart 21 besteht.

Seit mehr als drei Jahren demonstrieren Menschen, derzeit meist 2000 bis 3000, jeden Montag gegen ein aus ihrer Sicht zu teures und verkehrstechnisch sinnloses Milliardenvorhaben. Dem bisher bei der CDU beheimateten politisierten Bürgertum, dessen Vertreter mit Perlenkette und Lodenmantel auf die Straße gehen, hat Kuhn seinen Wahlerfolg vom Oktober mit zu verdanken. Doch dem Grünen, einem erklärten Gegner von Stuttgart 21, sind seit der Volksabstimmung zugunsten des Weiterbaus die Hände gebunden. Er will sich als Brückenbauer versuchen: "Ich bin einer für ganz Stuttgart."

Der Grüne muss sich auch mit einem unsichtbaren Umweltproblem beschäftigen, dem Feinstaub. Die Messstelle am verkehrsumtosten Neckartor hat mittlerweile bundesweit traurige Berühmtheit erlangt. Kuhns Rezept gegen Feinstaub-Spitzenwerte: Gebühren für alle Parkplätze in der Stadt und Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs.

Im kommenden Jahrzehnt wird sich auch das Gesicht der Stadt verändern. Derzeit werden in der City mehr als eine Milliarde Euro privates Kapital verbaut, unter anderem für zwei Shopping-Center mit 64 000 Quadratmetern Fläche. Wie das dem Handel auf der Einkaufsmeile Königstraße schmeckt, bleibt abzuwarten. Doch nicht nur Kommerz, sondern auch Kunst wird in Stuttgart groß geschrieben. In einem Vergleich des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts zum Kulturangebot von 30 großen Städten rangiert Stuttgart auf Platz eins, noch vor München und Berlin. Ein anderer Superlativ, den Stuttgart anstrebt, ist das Prädikat der kinderfreundlichsten Großstadt Deutschlands.

Im Stadtbild fällt kaum auf, dass Stuttgart eine der höchsten Migranten-Quoten Deutschlands aufweist: Mehr als 40 Prozent der Erwachsenen haben keine deutschen Wurzeln. So wie die langjährige Stadträtin Muhterem Aras, die sich keineswegs als "Reigschmeckte" (Zugezogene) fühlt. Die Grüne identifiziert sich mit ihrer Stadt - und findet es ungerecht, dass die Schwaben-Metropole ein so biederes Image hat: "Das Vorurteil rührt erstens aus Unkenntnis, zweitens aus schwäbischer Bescheidenheit."

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