Kamerun Humanitäre Krise abseits der Weltöffentlichkeit

Adikpo/Ogoja · Sie suchen Schutz vor der Gewalt: 35 700 Menschen aus Kamerun haben sich inzwischen ins Nachbarland Nigeria geflüchtet. Simon Ovanze Egbile ist einer von ihnen. Der 36-Jährige lebt mit seiner Frau, den zehn Kindern und seiner blinden Großmutter im Flüchtlingscamp Anyake im nigerianischen Bundesstaat Benue.

Seit mehr als einem Jahr ist es das provisorische Zuhause der Großfamilie geworden. Wann sie wieder zurück in ihr Heimatland Kamerun können, ist völlig ungewiss. „Es wäre gut, wenn die Vereinten Nationen endlich etwas unternehmen könnten“, klagt der hagere Mann.

Der Flüchtlingsstrom nach Nigeria reißt nicht ab: „Es kommen noch immer neue an, besonders wenn es wieder Angriffe in den Dörfern gibt“, sagt Sally Ineji Okpaje, Mitarbeiter des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR). Gemeinsam mit nichtstaatlichen Partnern wie der katholischen Stiftung für Gerechtigkeit, Entwicklung und Frieden (FJDP) ist er für die Organisation des Camps und die Belange der Flüchtlinge verantwortlich.

Aktuell geht es in Anyake, das eine Autostunde von der Kreisstadt Adikpo entfernt liegt, darum, den Umzug der 4312 Flüchtlinge zu organisieren. Mit der Kommune, die das Land zur Verfügung gestellt hat, gab es immer wieder Streit. Die Konflikte erschwerten den Zugang zum Camp und gefährdeten die Sicherheit der Bewohner. Flüchtling Egbile hofft, im neuen Camp endlich zur Ruhe zu kommen. Ihn quälen die Erinnerungen an Gewalt und Flucht. „Es gab regelmäßig Morde. Wir haben die Erschossenen gesehen und sind selbst in alle Richtungen gelaufen.“

In den beiden englischsprachigen Regionen Kameruns, Südwest und Nordwest, wo rund 20 Prozent der gut 25 Millionen Einwohner leben, sollen insgesamt 530 000 Menschen auf der Flucht sein. Die Denkfabrik International Crisis Group (ICG) mit Sitz in Brüssel kam Anfang Mai außerdem zu der Einschätzung, dass seit Herbst 2017 mindestens 1850 Personen in dem Konflikt ums Leben gekommen sind.

Dass Kamerun einen anglophonen und einen frankophonen Teil hat, liegt an der Kolonialgeschichte. Das Gebiet war einst deutsche Kolonie. Nach dem Ersten Weltkrieg erhielten Frankreich und Großbritannien je ein Mandat. Nach der Unabhängigkeit stimmte der anglophone Teil dafür, sich dem frankophonen anzuschließen. Bewohner klagen seit Jahren über Benachteiligungen. Das verschärfte sich im Herbst 2016, als Anwälte und Lehrer gegen die zunehmende Frankophonisierung des Justiz- und Bildungssystems demonstrierten.

Längst fordern Separatisten die Bildung eines eigenen Staates. Es gibt keine Informationen darüber, wie viele Kameruner diese Idee tatsächlich unterstützen. Nach Einschätzung der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) sorgen nicht nur Regierungstruppen, sondern auch die Separatisten für große Probleme. Im neuen HRW-Bericht steht, dass diese Dutzende Menschen gefoltert hätten.

Seit Ende Juni heißt es nun, dass mithilfe der Schweiz und dem Zentrum für Humanitären Dialog (HD) Gespräche mit den Konfliktparteien geführt werden sollen. Lösungsansätze sollte auch die Anglophone Generalkonferenz (AGC) bringen, die der emeritierte Erzbischof von Douala, Christian Tumi, initiieren will. Das Datum wurde jedoch mehrmals verschoben. Einen neuen Termin gibt es nicht.

Egbile hofft, dass so wenigstens über die Krise in seinem Heimatland gesprochen wird. „Sie braucht mehr Aufmerksamkeit“, sagt er. Zu dieser Einschätzung ist auch der Norwegische Flüchtlingsrat gekommen (NRC). Nach Ansicht der nichtstaatlichen Organisation gibt es weltweit keine derart vernachlässigte Krise wie die in Kamerun.

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