Leitartikel Es geht nicht um von der Leyen, es geht ums Prinzip

Es wird ja in der Union jetzt so getan, als sei Ursula von der Leyen die größte aller deutschen Politikerinnen, die größte Europäerin noch dazu. Die Wahrheit ist: Von der Leyens absolvierte in Berlin zuletzt nur noch eine Restlaufzeit als glücklose Ministerin.

Leitartikel: Es geht nicht um von der Leyen, es geht ums Prinzip
Foto: SZ/Lorenz, Robby

Auch aus Sicht hiesiger Christdemokraten. Schon eine einfache Kabinettsumbildung hätte sie nicht überstanden. Auf dem letzten CDU-Parteitag gaben ihr nur noch 57,4 Prozent die Stimme als stellvertretende Vorsitzende – eine Klatsche.

Mag sein, dass sich die Niedersächsin im Brüsseler Job als Talent entpuppt, obwohl sie bisher wenig Ahnung von der Materie hatte. Europäisch, weltoffen und modern ist sie ja. Außerdem sehr sprachgewandt. Aber das sind andere auch. Und dass eine Deutsche im EU-Spitzenamt der Heimat besonders nutzen würde, ist auch nicht ausgemacht. Das Amt erfordert Neutralität. Außerdem könnte es ebenso gut sein, dass sie als Vertreterin des größten Mitgliedslandes unter Druck gerät, die Kleinen und die Südländer zu bevorzugen.

Aber es geht heute bei der Abstimmung ohnehin nur in zweiter Linie um die Person. Es geht ums Prinzip. Die Staatschefs haben im Europäischen Rat wie einst die Kurfürsten entschieden: Lasst den Schwächsten König werden. Keinen, der bei der Europawahl als Spitzenkandidat angetreten ist. Nicht mal einen, der schon mal irgendwo Regierungschef war. Sondern eine angeschlagene Ministerin. Eine, die nicht weiter stört. Von der Leyen ist ein Vorschlag von Macrons und Orbáns Gnaden. Womöglich, wenn es ganz schlimm kommt, auch von Gnaden der rechten Kräfte im Parlament.

Nun werden Grüne und Sozialdemokraten angegriffen, weil sie das Spiel nicht mitspielen wollen. Doch was passiert eigentlich, wenn die Kandidatin durchfällt? Nichts. Dann muss der Rat eben noch einmal tagen und kommt vielleicht zu einem weiseren Vorschlag.

Im Grunde geht es um die alte Frage: Ist dies in Europa der nationalen Regierungen oder mindestens auch schon ein gemeinsames Europa des Volkes, also des Parlaments. Diese Frage ist nicht entschieden; sie wird auch nicht so schnell entschieden werden. Natürlich ist auch seitens des Parlaments nicht alles rosig. Man hätte sich dort selbst auf einen Vorschlag einigen können und hat den Zeitpunkt verpasst. Das haben die Regierungschefs ziemlich kaltschnäuzig ausgenutzt, um dem Parlament zu zeigen, wo der Hammer hängt. Nach ihrer Meinung.

Ein bedingungsloses Ja zu ihrem Vorschlag würde die Gewichte nun ungut verschieben. Deshalb sollte das Parlament heute deutlich machen, dass es kein Abnickverein ist – und dass das Europa des Volkes noch lebt. Erst recht, weil die Wahlbeteiligung am 26. Mai so hoch war. Von der Leyen übrigens könnte eine Niederlage durchaus aushalten. Ohnehin stand ab Ende 2021 nur noch das Hobby Reiten auf dem weiteren Lebensplan der noch amtierenden Verteidigungsministerin.

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