Gleichwertige Lebensverhältnisse Gleichwertig heißt nicht gleich

Der Bus kommt nur noch einmal am Tag. Die Kneipe ist schon lange dicht, und für die verwaiste Arztpraxis findet sich auch kein Nachfolger mehr. Was in strukturschwachen Regionen passiert, mag Stadtbewohner kaum bedrücken.

Leitartikel: Bundesregierung will gleichwertige Lebensverhältnisse
Foto: SZ/Lorenz, Robby

Aber auch großen Kommunen geht es nicht automatisch gut. Wo viele Hartz-IV-Empfänger leben, müssen sich Städte stärker verschulden, können sie weniger investieren. Dabei haben „gleichwertige Lebensverhältnisse“ hierzulande Verfassungsrang. Allerdings steht der Begriff ziemlich weit hinten im Grundgesetz. Und das auch eher beiläufig. In der politischen Debatte dagegen ist er zu einer zentralen Kategorie geworden – mit allen Hoffnungen und möglichen Enttäuschungen.

In ihrem „Plan für Deutschland“ hat sich die Bundesregierung nun einer Angleichung schwacher Regionen an die starken verschrieben. Behörden, Unis oder Verbände sollen auch in ländlichen Räumen angesiedelt, der Nahverkehr deutlich ausgebaut und überhaupt besondere Förderhilfen nicht mehr nur nach Ostdeutschland vergeben werden – sondern überall dorthin, wo es brennt. All das klingt gut. Aber es klingt auch nach einem Missverständnis. Denn gleichwertig heißt eben nicht gleich. Wer sich für ein Leben auf dem Land entscheidet, der nimmt bewusst eine schlechtere Infrastruktur in Kauf, längere Wege zur Arbeit oder zum Arzt. Aber der große Garten am Haus und die saubere Luft machen eben auch manches wett. Entscheidend ist, dass die Unterschiede nicht zu groß werden dürfen, um das tägliche Leben meistern zu können.

Hier muss sich die Politik auch ehrlich machen. Der Run auf die Städte ist eine Tatsache. Angesichts wachsender Alterung und einer langfristig tendenziell abnehmenden Bevölkerungszahl vor allem im Osten wird sich die Ausdünnung ländlicher Regionen eher verstärken. Ein Dorf, in dem nur noch wenige Ältere leben, dürfte trotz aller Fördermöglichkeiten deshalb schwerlich die Attraktivität früherer Zeiten zurückgewinnen. Auch der Erlass von Altschulden würde Problem-Kommunen nur eine Atempause bringen, wenn nicht gleichzeitig für die Ansiedlung zukunftsträchtiger Jobs gesorgt wird. Vergleichsweise gute Karten haben jetzt schon Regionen im engeren bis weiteren Umfeld von Ballungszentren. Vor allem für Familien gewinnen sie an Attraktivität, wenn das Angebot an Kitas, Schulen und preiswertem Bauland stimmt. Und es ist ja auch nicht so, dass keine Fördermittel dafür da wären. Findige Kommunalvertreter kennen sich aus im Dickicht europäischer Hilfen und Programmen von Bund und Ländern. Dass sich diese Unterstützung sicher noch optimieren lässt, ist eine Binsenweisheit.

Der Bund jedenfalls kann die Demographie nicht außer Kraft setzen. Aber er muss die Rahmenbedingungen für Investitionen und öffentliche Daseinsvorsorge verbessern. Auf dass die Unterschiede kleiner werden. Völlig verschwinden werden sie nicht. Brauchen sie auch nicht in einem föderal organisierten Staat wie Deutschland.

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