Leitartikel Die Bundestagswahl ist noch lange nicht gelaufen

Die Union hat sich nie darüber beklagt, dass sie und nicht die SPD für die Pandemie-Politik gelobt wurde, als die Bürger sich noch gut beschützt fühlten. Jetzt müssen die Christdemokraten dann auch hinnehmen, dass vor allem sie abgestraft werden.

 Werner Kolhoff

Werner Kolhoff

Foto: SZ/Robby Lorenz

Nichts anderes ist in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg geschehen. And the loser is….CDU. Es gibt wie immer mehrere Gründe für die Ergebnisse. Zunächst einmal sind da, und das müssen die Gegner neidlos anerkennen, mit Winfried Kretschmann (Grüne) und Malu Dreyer (SPD) zwei starke Ministerpräsidenten, die kaum Anlass für ihre Abwahl geliefert haben – was Voraussetzung für einen Wechsel gewesen wäre. Ihre wenig charismatischen Unions-Herausforderer stellten einen solchen Grund auch nicht dar.

Am stärksten aber wirkte sich der Unmut über die Corona-Politik aus, der sich nicht gegen die Landespolitiker, sondern gegen die Bundesregierung richtet. Nur so lässt sich der dramatische Einbruch der CDU innerhalb von wenigen Wochen erklären. Die Berliner Corona-Politik wird nicht mehr als koordiniert, flexibel und entschlossen wahrgenommen. Es gibt Frust über die fehlende Perspektive von Normalität. Die Kritik am Tempo der Impfkampagne und der Wirtschaftshilfen wird lauter. Dazu kam dann als I-Tüpfelchen noch die Wut über die schamlose Selbstbereicherung einiger Unions-Abgeordneter.

Das politische Momentum, der Rückenwind, ist ein unsteter Geselle. Bis vor Kurzem war eigentlich nur noch die Frage, welcher Unions-Politiker im Herbst Kanzler wird und wen er als Koalitionspartner wählt, Grüne oder FDP oder beide. Seit diesem Sontag ist alles anderes. Das Momentum ist der Union weggelaufen und tendiert zu den Grünen. Jetzt ist auch eine Ampel-Koalition aus Grünen, SPD und FDP ein möglicher Ausgang für Berlin, mithin der Verlust christdemokratischer Kanzlerschaft nach 16 Jahren. Die Entscheidung zwischen Annalena Baerbock und Robert Habeck um die grüne Spitzenkandidatur wird nun ebenso wichtig wie die zwischen Armin Laschet und Markus Söder auf Seiten der Union. Sogar SPD-Mann Olaf Scholz hat plötzlich Chancen.

Das alles kann sich natürlich bis zum Herbst wieder drehen, das Momentum ist flüchtig in jede Richtung. Wahrscheinlich ist das aber nicht. Denn die Union müsste nun mit umso größerer Ruhe reagieren und regieren, um vielleicht belohnt zu werden, wenn der Fortschritt bei den Impfungen im Sommer für Entspannung sorgt. Doch stattdessen kommt auf sie nun eine komplizierte Phase zu. Es werden Schuldige für das Debakel im Südwesten gesucht und in Gesundheitsminister Spahn und Wirtschaftsminister Altmaier gefunden werden. Es wird Rufe nach einer Kabinettsumbildung in letzter Minute geben. Dazu kommt die schwierige Personalentscheidung über die Kanzlerkandidatur und eine Grundsatzdebatte über Koalitionen mit den Grünen. Das sieht alles nicht nach baldiger Stabilisierung aus. Eher nach neuem innerparteilichen Streit. Nein, die Bundestagswahl ist noch lange nicht gelaufen.

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