Interview Thomas Wind „Die Briefwahl verändert die Wahlkampf-Planung“

Berlin · Der Kommunikationsexperte über Landtagswahlen in Corona-Zeiten, den Trend, schon frühzeitig sein Kreuzchen zu machen – und die Folgen für die Parteien.

  Thomas Wind vom Meinungsforschungsinstitut IfZ.

Thomas Wind vom Meinungsforschungsinstitut IfZ.

Foto: dpa/Sebastian Gollnow

 Schon vor den  Wahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz am Sonntag haben auffällig viele Bürger per Briefwahl abgestimmt. Wie ein solcher Trend  das Ergebnis beeinflussen kann und welche Rolle die Corona-Krise spielt, erklärt der Geschäftsführer des Heidelberger Meinungsforschungsinstituts IfZ, Thomas Wind.

Herr Wind, wie viel Bundespolitik steckt erfahrungsgemäß in Landtagswahlergebnissen?

WIND Die Leute wählen entsprechend einer gewissen Parteienaffinität, die auch stark von der Bundespolitik beeinflusst wird. Das kann sich aber durch populäre politische Persönlichkeiten im Land überlagern. In Baden-Württemberg bindet Winfried Kretschmann große Wählerpotenziale auch über die Grünen hinaus. Ähnlich ist es bei Malu Dreyer für die SPD in Rheinland-Pfalz.

Welche Rolle spielt die Corona-Krise?

WIND Das Krisenmanagement der Politik vom Impfen bis zum Testen wird immer negativer beurteilt. Die Leute sind entsetzt, dass da vieles schief läuft. Interessanterweise wird das parteipolitisch aber gar nicht so stark verortet, denn andernfalls müssten Union und SPD am Sonntag gleichermaßen abgestraft werden. Das geben die letzten Umfragen aber nicht her. Eher handelt sich hier um mittelfristige Prozesse im Wählerverhalten.

Im Bund plagt sich die CDU aktuell mit  der Masken-Affäre herum. Wird das ihr Verlierer?

WIND Wenn man sich die jüngsten Umfragewerte für die Union in beiden Bundesländern  anschaut, hat das  praktisch keinen Niederschlag gefunden. Das kann sich für die CDU am Sonntag aber auch noch zum Negativen ändern, denn es braucht eine gewisse Zeit, bis solche Vorfälle nachhaltiger wirken.

Die Briefwahl ist stark im Kommen, auch schon vor Corona. Was bedeutet dieser Trend politisch?

WIND Bei der letzten Bundestagswahl gab es etwa 30 Prozent Briefwähler. Für die kommende Bundestagswahl wird mit mindestens 50 Prozent gerechnet. Bei der letzten Wahl in Baden-Württemberg lag der Briefwähleranteil bei 20 Prozent. Jetzt geht es auch in Richtung 50 Prozent. Das wird die Wahlkampf-Planung der Parteien verändern. Sechs Wochen vor einer Wähl werden die Plakate gehängt. Wenn Briefwähler aber schon vorher ihr Kreuzchen gemacht haben, dann müssen die Parteien ihre Kampagnen früher starten. Denn die Briefwahl könnte durchaus wahlentscheidend sein.

Haben Sie ein Beispiel dafür?

WIND Ja, aber unter umgekehrten Vorzeichen. Im Jahr 2011 geschah zwei Wochen vor der  Landtagswahl in Baden-Württemberg die Reaktorkatastrophe in Fukushima. Die Grünen profitierten von diesem schrecklichen Ereignis, Kretschmann wurde mit geringem Vorsprung Ministerpräsident. Hätten seinerzeit schon viele Menschen früher per Briefwahl abgestimmt, wäre es nicht zu diesem einschneidenden Regierungswechsel gekommen.

Ist der wachsende Briefwähleranteil gut oder schlecht für die Demokratie?

WIND Der Urnengang gilt ja als „Hochamt der Demokratie“, hat also traditionell einen Symbolwert. Briefwahl ist sicher eine zeitgemäße Ergänzung. Die Auswirkungen auf die Demokratie lassen sich erst abschätzen, wenn wir mehr über die Einflüsse auf Wahlverhalten und Wahlbeteiligung wissen.

Landtagswahlen wird auch eine Signalwirkung für den Bund nachgesagt. Gilt das auch für die Voten am Sonntag

WIND Landtagswahlen sind nie eins zu eins auf den Bund übertragbar. Im aktuellen Fall kommt hinzu, dass die Bundestagswahl erst im September stattfindet, also noch weit entfernt ist. Bis dahin kann noch viel passieren – gerade in Pandemiezeiten.

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