Leitartikel Alles deutet auf eine erdrückende Faktenlage hin

Kurzfristig kann das der AfD sogar nutzen. Ihre Einstufung als rechtsextremer „Verdachtsfall“ durch den Verfassungsschutz weckt den Widerstandsgeist all jener, die die „Merkel-Diktatur“, die „System-Parteien“ und die „Lügen-Presse“ (alles AfD-Sprachgebrauch) ohnehin hassen.

 Werner Kolhoff

Werner Kolhoff

Foto: SZ/Robby Lorenz

Sie werden der von Fraktionschefin Alice Weidel bereits begonnenen Legende glauben, dass hier eine Behörde politisch missbraucht werde, um eine unliebsame Partei im Superwahljahr zu behindern. Dabei ist es gerade andersherum: Innenminister Horst Seehofer (CSU) wollte ausschließen, dass die Rechten sich auch noch als Märtyrer betrachten können. Deshalb wurde der Verfassungsschutz-Bericht so lange geprüft. Dass nun trotz des politischen und rechtlichen Risikos so entschieden wurde, deutet auf eine erdrückende Faktenlage hin. Langfristig werden die halbwegs Vernünftigen in der Partei das auch so sehen. Die Demokratie zeigt sich wehrhaft. Verdachtsfall heißt nicht, dass die AfD verfassungswidrig ist. Er bedeutet aber, dass es hinreichend viele Anhaltspunkte dafür gibt, bei ihr künftig viel genauer hinzuschauen, auch mit geheimdienstlichen Mitteln. Das meiste ist schon lange offen sichtbar: Die kaum kaschierten Kontakte an der Basis zu rechtsextremistischen Milieus. Die wachsende Rolle des nur formal aufgelösten völkischen Höcke-„Flügels“. Die Radikalisierung in den sozialen Medien. Das Bündnis mit Corona-Leugnern und Reichstagsstürmern. Die systematischen Angriffe auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Die Verhöhnung des parlamentarischen Systems und Abgeordneter anderer Parteien. Was fehlt, sind eigentlich nur direkte Aufrufe zur Gewalt. Aber das erledigen im Zweifelsfall dann Mitläufer, die sehr wohl verstanden haben, was sie verstehen sollen.

Nicht alle AfDler sind so. Es gibt noch die redlichen Euro-Kritiker, die über die vielen Migranten Besorgten, die Anhänger von Nation, Heimat und Leitkultur. Alles erlaubt, alles in Ordnung. Nur ist die AfD als Partei eben keine normale konservative Volkspartei. An der Basis nicht, im Funktionärskörper nicht und vor allem ganz oben nicht, wo Leute wie Weidel, Chrupalla, Brandner und Gauland den Ton angeben. Sie lassen die Grenzen nach ganz rechts immer wieder sehr bewusst verschwimmen. Damit jeder mitmachen kann, der will. Auch der Rassist, der Antidemokrat, der Geschichtsklitterer und der Verschwörungstheoretiker.

Der Co-Chef Jörg Meuthen hat dazu beim letzten Parteitag Klartext geredet. Nur zum Schein, um der Überwachung durch den Verfassungsschutz zu entgehen? Seine innerparteilichen Gegner werden es so deuten und ihm nun vorhalten, dass der Bückling sich nicht gelohnt habe. Meuthen, der ohnehin auf der Kippe stand, wird durch die Entscheidung des Verfassungsschutzes erheblich geschwächt. Er sollte, wenn er seine damalige Rede ernst meint (woran  gezweifelt werden darf, schließlich hat er früher auch schon Höcke hofiert), die aufrechten Konservativen einsammeln und etwas Eigenes aufmachen. Denn aus dieser AfD wird so schnell keine demokratische Alternative für Deutschland mehr.

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