Leitartikel Die Tür zur EU muss für den Westbalkan offen stehen

Manchmal heißt es warnend, in Afrika säßen Millionen auf gepackten Koffern. So weit muss man gar nicht gucken. Auf dem Westbalkan, quasi vor der Haustür, sind es ebenso viele. Vor allem die jungen Leute hungern dort nach Teilhabe am modernen Leben.

Leitartikel: Die Tür zur EU muss für  den Westbalkan offen stehen
Foto: SZ/Roby Lorenz

Das Bildungsniveau ist enorm, viele lernen Englisch. Wenn ihre Erwartungen nach Entwicklung und baldiger Mitgliedschaft in der EU enttäuscht werden, wird es kein Halten mehr geben. Da werden Österreich und Bayern dann sehr hohe Zäune bauen müssen. Die Luftlinie Berchtesgaden-Banja Luka beträgt nur rund 500 Kilometer.

Die Regierungen fast aller sechs Nationen – neben Bosnien, Montenegro und Albanien noch Serbien, Nordmazedonien und Kosovo – unternehmen sehr ernsthafte Anstrengungen, um die EU-Kriterien zu erfüllen. Und Europa, vor allem Deutschland, hat sie stets dabei ermutigt. Albaniens Politiker zum Beispiel gehen mit ihrem harten Vorgehen gegen korrupte Richter und Staatsanwälte sogar persönliche Risiken ein. Ebenso Mazedoniens Reformregierung, die gegen die eigenen Nationalisten die Namensänderung in Nordmazedonien durchgesetzt hat, auf dass Frieden sei mit Griechenland. Und Kosovo und Serbien, Erzfeinde, nähern sich einer Einigung ihrer Grenzstreitigkeiten durch Gebietsaustausch.

All dies mag mag noch nicht ausreichen – und mag im Fall des Gebietsaustausches auch kein leuchtendes Beispiel für eine echte Aussöhnung der Völker sein. Es zeigt aber, was für ein starker Treiber zur demokratischen und rechtstaatlichen Entwicklung die Perspektive der Mitgliedschaft in der Europäischen Union ist. Wird sie enttäuscht, geht es andersherum. Dann herrschen in der Region schneller wieder Chaos, Rivalität und Krieg, als man gucken kann. Das ist der eine Grund, warum man hoffen muss, dass Deutschland und Frankreich bei ihrer heutigen gemeinsamen Westbalkan-Konferenz in Berlin weiterhin an einem Strang ziehen und Tempo machen.

Der andere: Es gibt in der Region nicht wenige Kräfte von innen und außen, die Konflikte schüren wollen. Russland hat angestammte Beziehungen, besonders zu Serbien, und versucht, der EU hier zu schaden. Auch die Türkei ist aktiv. Sie versucht, in Albanien, Bosnien und Kosovo den ziemlich säkularisierten Islam wieder zu politisieren. Und schließlich agiert auch in dieser Weltgegend China mit seinen Wirtschaftsinteressen.

Vor der Europawahl wird es sicherlich keine großen Sprünge geben. Aber es wäre schon viel gewonnen, wenn den Westbalkan-Staaten heute in Berlin noch einmal zugesichert werden würde, dass das Ziel klar die Vollmitgliedschaft aller sechs Länder ist und bleibt. Und zwar zeitnah, also möglichst bis 2030. Die Populisten um AfD und Le Pen wollen der Region allenfalls eine privilegierte Partnerschaft zugestehen, wie sie Angela Merkel einst für die Türkei vorgesehen hatte. Doch das hier ist nicht Vorderasien, das ist europäisches Kultur- und Kernland. Wer es verstößt, verstößt Europa.

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