Herr Löbel, die 28 EU-Staaten tun sich jetzt schon schwer mit gemeinsamen Entscheidungen. Würde sich dieses Problem durch weitere Mitglieder nicht noch verschärfen?
Interview Nikolas Löbel „Die Westbalkan-Staaten sind klar pro-europäisch“
Berlin · Schon seit Jahren drängen die Westbalkan-Staaten wie etwa Albanien, Serbien und Montenegro auf eine Mitgliedschaft in der EU. Über ihre Beitrittsperspektiven sprach unsere Berliner Redaktion mit dem CDU-Außenexperten und Berichterstatter für die Westbalkan-Region, Nikolas Löbel.
Er ist gerade von einer Informationsreise aus Albanien zurückgekehrt.
LÖBEL Nun ja, die Europäische Union steht gegenüber den Balkanstaaten im Wort. Das Abkommen von Thessaloniki aus dem Jahr 2003 verspricht diesen Staaten eine Zukunft in der EU. Die Westbalkan-Staaten weisen einen klar pro-europäischen Kurs auf. Jetzt müssen wir gemeinsam einen Prozess gestalten, an dessen Ende eine Mitgliedschaft in der EU stehen kann, aber nicht muss.
Albanien zum Beispiel wird in der öffentlichen Wahrnehmung häufig mit Korruption und Kriminalität gleichgesetzt. Kann da ein EU-Beitritt ernsthaft in Betracht kommen?
LÖBEL Zum jetzigen Zeitpunkt sicher noch nicht. Aber es geht ja lediglich um die Aufnahme von Verhandlungen, nicht um den Abschluss. 92 Prozent der Albaner sagen, sie wollen Mitglied der EU werden. Das ist eine sehr breite gesellschaftliche Bewegung. Entscheidend ist deshalb, Albanien fit für Europa zu machen.
Wo sehen Sie die größten Probleme?
LÖBEL Das sind zweifellos die organisierte Kriminalität und die Korruption im Justiz-System Albaniens. Ich konnte mich aber vor Ort davon überzeugen, dass hier ein großer Wille zur Veränderung besteht.
Inwiefern?
LÖBEL Gegenwärtig läuft der sogenannte Vetting-Prozess, in dem alle 800 Richter und Staatsanwälte in Albanien auf ihre fachliche Eignung, ihre Integrität und auf ihr Vermögen hin überprüft werden. Ein bemerkenswerter Prozess. Von den bisher 70 überprüften Personen ist die Hälfte bei der Überprüfung durchgefallen. Diese ersten Ergebnisse sind einerseits erschreckend, andererseits aber auch ein Beleg für die Ernsthaftigkeit, gegen Korruption und Vetternwirtschaft vorzugehen.
In den letzten Jahren haben 300 000 Albaner ihr Heimatland verlassen. Das klingt nicht so, als sei Albanien auf einem guten Weg.
LÖBEL In der deutschen Botschaft in Tirana werden pro Monat 350 Visaanträge gestellt. Davon werden etwa zwei Drittel genehmigt. Das zeigt, dass die Menschen ihre Zukunft in Europa sehen. Gerade deshalb ist es so wichtig, Albanien eine Perspektive in Europa und damit den Menschen in Albanien eine Perspektive in ihrem Land zu geben.
Wann kann es zu einem EU-Beitritt Albaniens kommen?
LÖBEL Es darf auf dem Westbalkan keine Beitrittsperspektive erster und zweiter Klasse geben. Für Serbien und Montenegro hat die EU das Jahr 2025 in den Raum gestellt. Mit diesen zwei Staaten gibt es auch schon offizielle Beitrittsverhandlungen. Ich sehe keine Unterschiede zwischen Serbien und Montenegro einerseits und Albanien sowie Mazedonien andererseits. Wenn Albanien weiter auf dem Reformweg bleibt, spricht nichts gegen einen baldigen Beginn von Beitrittsverhandlungen.