Studie zu politischen Einstellungen Demokraten müssen sich Sorgen machen

Ist der Schoß noch fruchtbar, aus dem das kroch? Das ist mit Bertolt Brecht gesprochen die bange Frage, mit der viele Menschen Untersuchungen wie die aktuelle „Mitte-Studie“ der Friedrich-Ebert-Stiftung verfolgen werden.

Demokraten müssen sich Sorgen machen
Foto: SZ/Roby Lorenz

Was tut sich da in den Hirnen, was wächst da an neuem Unheil heran?

Solche Studien können auch ein heilsamer Schock sein. Zum Beispiel für diejenigen, die glaubten und glauben, in Deutschland herrsche im Umgang mit Fremden Friede, Freude, Eierkuchen. Es zeigt sich: Sie haben sich etwas vorgemacht. Wahrscheinlich schon immer. Das Leitbild „Multikulti“ ist nicht selbstverständlich. Es hat biodeutsche Konkurrenz, und die meldet sich nun lautstärker als bisher zu Wort. Weil viele (zu viele?) Fremde hier sind, weil Abneigung geschürt wird, weil bisherige Tabus nicht mehr gelten. Aus welchem Grund auch immer. Der grüne Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer illustriert mit seinem Protest gegen die angeblich zu multikulturelle Außendarstellung der Bahn sehr plastisch, was die Forscher ermittelt haben: Es gibt bis weit in die Mitte der Gesellschaft hinein ein großes Potenzial für rechtspopulistische Auffassungen. Dieses Potenzial beträgt laut der Studie 20 Prozent. Als Bodensatz war dieses Gedankengut schon immer da. Man hat es nur nicht wahrhaben wollen. Inzwischen hat es sich jedoch besser organisiert und auch eine Partei gefunden: die AfD.

Die gute Nachricht unter den vielen schlechten: Es gibt demgegenüber kein großes Potential für einen harten Rechtsextremismus oder gar den alten Nazismus. Doch ist das kein Grund für eine echte Entwarnung. Denn was die Entwicklung unberechenbar macht, ist die zunehmende Infragestellung demokratischer Institutionen. Auch dieses Misstrauen reicht bis weit in die Mitte der Gesellschaft hinein.

Wenn fast die Hälfte der Bevölkerung glaubt, Geheimorganisationen steuerten alle politischen Entscheidungen, und wenn jeder Vierte den Medien unterstellt, mit den Politikern unter einer Decke zu stecken, dann wird es brandgefährlich. Denn dann ist der Schritt zur Selbstermächtigung nicht weit, wie sie in der Losung „Wir sind das Volk“ der Pegida-Demonstranten ihren Ausdruck findet. Wo demokratische Institutionen nicht akzeptiert werden, wird am Ende Gewalt das Ergebnis sein.

Es ist nicht die alte Weimarer Republik, es ist eine neue Berliner Melange: Politiker, die die Bedrohung nicht erkennen und weiter ihre Spielchen spielen, wie im vergangenen Jahr der sinnlose Streit um Abschiebungen. Demokraten, die die Demokratie in Deutschland für zu unangreifbar halten und das Erreichte für zu selbstverständlich. Eine Mitte der Gesellschaft, die extreme Haltungen enttabuisiert, weil sie glaubt, alles schon im Griff zu behalten. Und Radikale, die auf ihre Chance warten. Wohlgemerkt: Das Ganze ohne echte Krise, ohne Massenarbeitslosigkeit, ohne äußere Bedrohung. Was geschieht, wenn sich mal echte Probleme stellen?

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