Leitartikel Die Lage in Venezuela ist verfahren – und gefährlich

Der Machtkampf in Venezuela wird nicht nur härter, sondern auch zunehmend skurril: Zur Konfliktlösung rufen der amtierende Präsident Nicolás Maduro und der selbsternannte Interimspräsident Juan Guaidó unisono nach dem Papst.

Die Lage in Venezuela ist verfahren – und gefährlich
Foto: SZ/Robby Lorenz

Freilich ist der aus Argentinien stammende Franziskus in vielen südamerikanischen Staaten eine besonders glaubwürdige Persönlichkeit, gerade weil er als Fürsprecher der Armen auftritt. Und diese scheinen in Venezuela, dem ölreichsten Staat der Welt, gegenwärtig in der Überzahl. Dass im 21. Jahrhundert der Pontifex als übergeordnete Instanz und gleichsam göttliche Stimme den Politikern den Weg einflüstern soll, zeigt aber im Grunde nur, wie verzweifelt und verfahren die Situation in Caracas ist. Und wie viel (oder wenig) Vertrauen in einen internationalen Verhandlungserfolg herrscht. Auch in der Kontaktgruppe aus EU- und lateinamerikanischen Staaten, die hinsichtlich der Machtfrage in Venezuela ebenfalls gespalten ist.

Dem Oppositionellen Guaidó gehört zweifellos die Stimme der Straße, der Hunderttausenden Armen, Kranken, Hungernden. Ihm, der dringend benötigte Hilfe aus dem Ausland organisierte, nützt nun die Weigerung Maduros, die Güter in das wirtschaftlich wie politisch kollabierende Land zu lassen. Denn Maduro entlarvt die Blockade nur umso mehr als sturen Realitätsverweigerer und kaltblütigen Autokraten, den vor dem Hintergrund seines beispiellosen politischen und ethischen Versagens der Machterhalt um jeden Preis antreibt. So ist es kein Wunder, dass der umstrittene Präsident, der das Parlament aufgelöst hat und dem Wahlmanipulation vorgeworfen wird, sich gegen die von EU, USA, Kanada und weiteren Ländern geforderten Neuwahlen sträubt. Was er sich vorerst leisten kann, denn er weiß mächtige Staaten wie Russland und China auf seiner Seite. Moskau und Peking haben massiv ins venezolanische Ölgeschäft investiert. Da­rüber hinaus ist China Venezuelas größter Kreditgeber, Russland versorgt das Staatsoberhaupt üppig mit Waffen. Beide haben alles auf die Karte Maduro gesetzt – und bekommen die US-Öl-Sanktionen gegen Caracas ebenfalls zu spüren. Somit gerät der venezolanische Konflikt auch immer mehr zu einem gefährlichen Kräftemessen der Großmächte.

Mögen auch viele Hoffnungen auf ihm ruhen: Guaidó hat derzeit nicht genügend Spielraum, Maduro zu entmachten. Zumal seine Legitimation als Interimspräsident auf tönernen Füßen steht: Die venezolanische Verfassung deckt seinen Amtsanspruch nur ungenügend ab. Und ob Guaidó die zersplitterte Opposition hinter sich einen kann, ist auch nicht sicher. Somit stehen Bürgerkrieg oder eine militärische Intervention als ungünstigste Optionen weiter im Raum. Um ein Blutvergießen zu vermeiden, muss die internationale Gemeinschaft sich durchringen, mit einer Stimme zu sprechen, statt weiter Zeit zu verplempern. Es wird nichts anderes übrig bleiben, als Guaidó möglichst uneingeschränkt zu unterstützen, um Maduro in die Knie zu zwingen. Auch mit finanziellen Mitteln. Sonst könnte ein ähnliches Desaster drohen wie in Syrien.

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