Leitartikel Im Brexit-Drama darf Europa nicht nachgeben

Für den britischen Optimismus gilt erkennbar das Gleiche wie für den Humor der Insulaner: Beides wird auf dem Kontinent nicht verstanden. Woher Premierministerin Theresa May die Überzeugung nimmt, die europäischen Staats- und Regierungschefs sowie die EU-Unterhändler nunmehr von Positionen überzeugen zu können, die bereits abgelehnt wurden, ist nicht erkennbar.

Im Brexit-Drama darf Europa nicht nachgeben
Foto: SZ/Robby Lorenz

Der Backstop, diese Notlösung für den Fall, dass man sich nicht auf ein Abkommen über die gegenseitigen Beziehungen einigen kann und deshalb die Grenze zwischen Nordirland und Irland geschlossen werden müsste, war eine Erfindung Londons. Nun will May sie kippen – was soll daran nachvollziehbar sein?

Zumal die Abgeordneten des Unterhauses einmal mehr den gleichen Fehler wiederholt haben: Sie beschlossen, neu zu verhandeln, legten aber keinen eigenen Vorschlag vor. So kommt man nicht weiter. Mehr noch: Wenn die zurückliegenden Sitzungen des britischen Parlaments der EU etwas gezeigt haben, dann ist es die Wichtigkeit, sich nicht auf einen einseitigen oder befristeten Backstop einzulassen. Denn man darf ja nicht vergessen, dass nach der – allerdings inzwischen kaum noch wahrscheinlichen – Annahme des Austrittsabkommens, zunächst weitere Verhandlungen über eine Art Grundlagenvertrag folgen werden. Das Gezerre dürfte kaum weniger quälend über die Bühne gehen wie die bisherigen Gespräche.

Da braucht Brüssel so etwas wie eine letzte Absicherung, damit London nicht einseitig alle Bemühungen um eine offene Grenze zwischen Nordirland und Irland für beendet erklärt und so Fakten schafft. Denn genau das ist die heimliche Hoffnung derer, die auf der britischen Seite als Hardliner auftreten – und damit selbst die Begründung liefern, warum die Gemeinschaft hart bleiben muss.

Die britische Verhandlungstaktik erscheint bodenlos. Längst verliert das Königreich Unternehmen, die sich dieses Hickhack nicht länger ansehen und abwandern. Autobauer, Filmindustrie, Medizin-Unternehmen – kein Betrieb kann es sich leisten, auf die nächste Abstimmung im Februar zu warten. Zumal absehbar ist, dass auch die keine Lösung bringt. Großbritannien schnürt sich selbst die Luft ab, weil eine Handvoll Politiker samt Premierministerin unfähig sind, ausschließlich an das Schicksal des eigenen Landes zu denken und nicht an die eigene Karriere.

Dabei könnten sie alle wissen, dass ein Aufschnüren des Ausstiegsvertrages London keineswegs Vorteile bringt. Die spanischen Vertreter in Brüssel warten seit Wochen nur darauf, den Status von Gibraltar neu auf die Tagesordnung setzen zu können. Frankreich drängt auf eine bessere Lösung für die Fischfang-Quoten in der Irischen See. Und das sind nur zwei Beispiele. May hatte Recht, als sie noch sagte, dies sei der beste Deal, den Großbritannien haben könnte. Warum sie selbst von dieser Position abgerückt ist, bleibt ihr Geheimnis. Zumal sie ohne neue Ideen nach Europa kommt. Die 62-Jährige hat ihre Glaubwürdigkeit als verlässliche Verhandlerin endgültig verloren.

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