Debatte im Unterhaus Theresa May hofft auf ihr weihnachtliches Brexit-Wunder

London · Im britischen Parlament beginnt die fünftägige Debatte über den Brexit-Deal. Der Widerstand ist groß. Doch die Premierministerin will nicht aufgeben.

 Die Adventsstimmung bei Premierministerin May dürfte getrübt sein. Bei der Brexit-Abstimmung am 11. Dezember droht ein Scheitern.

Die Adventsstimmung bei Premierministerin May dürfte getrübt sein. Bei der Brexit-Abstimmung am 11. Dezember droht ein Scheitern.

Foto: AP/Kirsty Wigglesworth

Theresa May hat viele Schwächen. Die konservative britische Premierministerin hat zum Beispiel Schwierigkeiten, souverän mit unangenehmen Fragen umzugehen. Sie beantwortet sie meist gar nicht, sondern kontert nur mit gestanzten Sätzen. Das brachte ihr den Spitznamen „Maybot“ ein, eine Mischung aus May und Roboter.

Zu der Frage, was passiert, wenn das Parlament am kommenden Dienstag, 11. Dezember, den mit Brüssel ausgehandelten Brexit-Deal ablehnt, sagt sie immer wieder: „Ich fokussiere mich auf die Abstimmung am 11. Dezember.“ Dass vor der fünftägigen Debatte, die gestern startete, bereits etwa 100 Abgeordnete ihrer eigenen Fraktion Widerstand angekündigt hatten, ignoriert May einfach. Plan B? Scheint es nicht zu geben.

Britische Kommentatoren beobachten das mit zunehmendem Staunen. Der „Times“ zufolge wird Mays Verhalten sogar innerhalb des Regierungssitzes Downing Street 10 mit einer Szene aus dem Zweiten-Weltkriegs-Drama „Der Untergang“ verglichen. Bruno Ganz spielt darin Hitler, der vor seinen Generälen über einen Sieg in letzter Sekunde fabuliert, während die Sowjets bereits vor Berlin stehen.

Doch wenn May etwas als Stärke ausgelegt werden kann, dann ihre unerschütterliche Beharrlichkeit, auch nach einer verlorenen Parlamentswahl und mehreren Kabinettsrücktritten. Doch wird sie auch dieses Mal in der Lage sein, einfach weiterzumachen?

Pünktlich zum Beginn der Debatte trudelte ein Gutachten aus Luxemburg ein, dass den EU-Anhängern im Parlament Auftrieb geben könnte: Großbritannien kann den Brexit aus Sicht eines Experten am Europäischen Gerichtshof (EuGH) noch stoppen. Das Land könnte den Austrittsantrag einseitig und ohne Zustimmung der übrigen EU-Staaten zurückziehen und EU-Mitglied bleiben, erklärte Generalanwalt Manuel Campos Sánchez-Bordona. Dies gelte bis zum Abschluss eines Austrittsabkommens.

Das Brexit-Chaos scheint auf der Insel also weiter kein Ende zu nehmen. Und May trägt in den Augen ihrer Kritiker dazu bei. Statt bei den Abgeordneten in Westminster, auf deren Stimmen es ankommt, Überzeugungsarbeit zu leisten, reiste May wie besessen durchs ganze Land und macht eine Art Wahlkampf. Selbst einer TV-Debatte gegen Oppositionschef Jeremy Corbyn will sie sich stellen – anders als im echten Wahlkampf im vergangenen Jahr. In einem Brief wandte sie sich an die Nation, um ihren Deal anzupreisen. Doch ob sie mit ihrer Taktik erfolgreich sein wird, ist unklar. Umfragen zumindest deuten darauf hin, dass die Zustimmung in der Bevölkerung wächst. Waren kurz nach der Veröffentlichung des Brexit-Abkommens Mitte November nur 15 Prozent der Wähler dafür, verdoppelte sich diese Zahl bis Ende des Monats beinahe auf 27 Prozent. Doch die Zeit ist knapp und am Ende kommt es auf die Parlamentarier an.

Längst gibt es Spekulationen, die Regierungschefin habe etwas ganz anderes im Sinn. Sie wolle den Abgeordneten mit einer Neuwahl drohen, glauben manche, und sich schon einmal einen Vorsprung im Wahlkampf verschaffen. Doch damit würde sie der Labour-Opposition in die Hände spielen. Die hat bereits angekündigt, eine Misstrauensabstimmung anzustoßen, sollte das Brexit-Abkommen am 11. Dezember durchfallen. „Wenn sie eine Abstimmung von solcher Bedeutung nach zwei Jahren Verhandlung verliert, wäre es richtig, eine Parlamentswahl abzuhalten“, sagte der Brexit-Experte der Labour-Partei, Keir Starmer, kürzlich.

Wahrscheinlicher ist, dass May insgeheim auf einen zweiten Wahlgang setzt. Ein Kurssturz an den Finanzmärkten nach einer Niederlage der Regierung am 11. Dezember könnte die Abgeordneten zur Vernunft bringen, so möglicherweise die Hoffnung. Zudem könnte May beim nächsten EU-Gipfel zwei Tage später kleine Änderungen an der Erklärung für die zukünftige Beziehung mit Brüssel aushandeln.

Doch wenn die Parlamentarier erneut ablehnen, müsste May endgültig mit einem Putsch rechnen. Für diesen Fall oder für einen Rücktritt Mays plant angeblich bereits eine Gruppe von Ministern, eine engere Anbindung an die EU zu suchen. Für das sogenannte Norwegen-Plus-Modell, bei dem Großbritannien im Binnenmarkt und in der Zollunion bleiben würde, gäbe es theoretisch eine Mehrheit. Doch auch die Rufe nach einem zweiten Referendum dürften immer lauter werden. Auch ein Austritt ohne Abkommen ist weiter möglich.

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