Leitartikel Die Kohle, das Klima und die Mutigen

Mit Geld, sehr viel Geld, ist der Konsens über den Kohleausstieg erzielt worden. Regionen, Kraftwerksbetreiber und Stromkunden werden fürstlich für ihren „Verzicht“ auf die Nutzung dieser schmutzigen Energiequelle entschädigt; die Empfehlungen der Kohlekommission dürften gut und gerne 80 Milliarden Euro kosten.

Saarbrücken: Kommentar zum Kohlekompromiss
Foto: SZ/Roby Lorenz

Da nehmen viele was mit.

Nun kommen die Sektoren Verkehr, Gebäude und Landwirtschaft an die Reihe. Sie haben bisher wenig bis nichts zum Klimaschutz beigetragen. Wenn sich das nicht ändert, kann Deutschland seine Klimaziele vergessen – und muss Milliarden an Strafzahlungen leisten. Denn Verträge gelten.

Doch so einfach wie bei der Kohle wird das nicht. Bei den Gebäuden geht es um bessere Energie- und Heizstandards, was entweder Milliarden Förderung kostet – oder in Eigentumsrechte eingreift. Außerdem ist in Zeiten wuchernder Mieten gerade eher die Verbilligung des Bauens statt der Verteuerung angesagt. In der Landwirtschaft wird man nur durch geringeren Düngemitteleinsatz und eine Verringerung der Fleischproduktion CO2 einsparen können. Beides ginge an die Substanz vieler Betriebe.

Noch schwieriger ist es im Verkehr. Gemeint sind der private Autoverkehr und der Schwerlastverkehr. In diesem Sektor lebt man bisher wie auf einer Insel der Klimaseligen. Immer größer, immer PS-stärker, immer mehr. Was der Industrie nun als Alternative vorschwebt, ist das gleiche System in grün, sprich elektrisch. Viele möglichst große E-Autos für den individuellen Gebrauch. Mit viel stromfressendem Schnickschnack, damit nach dem Fortfall der Motorfertigung die Gewinnmargen auch künftig stimmen. Weil so ein Elektro-SUV aber erst nach acht Jahren oder 200 000 Kilometern klimatechnisch besser dasteht als ein Verbrenner, wird das nicht die Lösung sein können. Für all die anderen Probleme des Individualverkehrs ist sie es sowieso nicht.

Auf der Rezeptliste stehen deshalb auch: kleinere Autos, schwächere Motoren und ebenso schwächere E-Auto-Batterien, geringere Geschwindigkeiten, weniger Fahrten, mehr Bahn und Rad, mehr Car-Sharing, weniger Parkplätze, höhere Sprit-Besteuerung. Das ganze Gottseibeiuns der Autofans und ihrer Industrie. Die aufgeregte Intervention des Verkehrsministers gegen erste Gedankenskizzen „seiner“ Kommission hat gezeigt, wie nervös man ist. Mit Ausgleichsmilliarden ist da wenig zu machen, es geht um Gewohnheiten und Lebensgefühl, aber auch um eingespielte Mobilitätsstrukturen. Die Unterlassungen vergangener Jahre dienen nun als Begründung, immer so weiterzumachen.

Das Ganze ist explosiv, wie die Gelbwesten-Proteste zeigen. Je näher hier Entscheidungen rücken, umso lauter werden die Stimmen derer werden, die als Ausweg vorschlagen, den Klimawandel wahlweise für nicht existent oder für nicht lösbar zu erklären – nach uns die Sintflut. Dann helfen keine Kommissionen mehr. Dann schlägt die Stunde der wirklich Mutigen. Zu denen der Verkehrsminister übrigens nicht gehört.

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