Es brummt und flirrt

Saarbrücken · Einst war Scott Walker als Stimme der Walker Brothers ein Teeniestar, dann begann er eine Solo-Karriere, die ihn vom melancholischen Edelpop zur Avantgarde führte. Sein jüngstes Album ist Filmmusik, die den Hörer herausfordert.

 Scott Walker, kein Freund fröhlicher Pressebilder. Foto: Evans

Scott Walker, kein Freund fröhlicher Pressebilder. Foto: Evans

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Verlässlich unberechenbar bleibt er. Musste man früher manchmal eine Dekade warten auf ein neues Album von Scott Walker, so ist der Amerikaner (der seit Jahrzehnten in London lebt) heute so produktiv wie seit den 60er Jahren nicht mehr: Damals legte er, nachdem er mit den Walker Brothers kurzfristig zum Teeniestar geworden war ("The sun ain't gonna shine anymore"), rasch seine melancholischen Solo-Meisterstücke "Scott" bis "Scott 4" (1967-1969) vor - Edelpop mit Orchester, bittersüßen Texten und Walkers göttlichem Bariton. Wem da nicht heute noch das Wasser in die Augen steigt, der muss gefühlskalt sein.

50 Jahre später klingt Walker (73 inzwischen) ganz anders, den Pop hat er lange hinter sich gelassen, seine Musik hat sich verfinstert; auf nachtschwarzen Alben wie "Tilt" oder "The Drift" singt er abstrakte Texte zu avantgardistischen Streicher- und Percussion-Klängen - letztere schon mal durch Schläge auf rohes Fleisch erzeugt. Dass er zuletzt mit der US-Düsterrockband Sunn O))) ein Album aufnahm ("Soused"), war nur eine milde Überraschung; denn Walker ist alles zuzutrauen - außer dem, was sich manche alten Fans wünschen: ein spontan zugängliches Album.

Ein solches ist "The childhood of a leader" auch nicht geworden: 18 rein instrumentale Stücke, manche kürzer als eine Minute, begleiten den gleichnamigen Film von Brady Corbet. Bei uns ist das Werk, das vom Faschismus des 20. Jahrhunderts erzählt, noch nicht gelaufen; die Musik ist nicht mit Bildern verbunden, steht für sich selbst - und verlangt ein offenes Ohr. Selten erklingt ein Schlagzeug oder ein Tasteninstrument, Walker lotet die Möglichkeiten der Streicher aus: Die lässt er manchmal in höchsten Tönen fast flirren und rauschen, perkussiv donnern, dann wieder in tiefsten Tönen brummen und dröhnen. Manchmal schält sich überraschend ein keckes Motiv heraus, manchmal ist es ein Soundtrack der Verzweiflung. Keine Musik für nebenher ist das, es bieten sich Kopfhörer und ein dunkler Raum zum Hören an. Im letzten Stück, "New Dawn", klart sich die Düsternis dann doch noch auf, mit der freundlichsten Melodie dieses Albums, das einen fordert und belohnt.

Scott Walker: The childhood of a leader (4AD/XL).

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