Lesungen Unterwegssein im Unglück

Saarbrücken · Morgen liest Büchnerpreisträgerin Terézia Mora in Saarbrücken aus ihrem jüngsten Erzählband „Die Liebe unter Aliens“.

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Foto: SZ

Als Terézia Mora im vergangenen Herbst den Büchner-Preis erhielt, die wichtigste Literaturauszeichnung im deutschsprachigen Raum, war ihr bislang letztes Buch, aus dem sie nun morgen auch in Saarbrücken lesen wird, schon zwei Jahre auf dem Markt. „Die Liebe unter Aliens“ heißt es und schließt in seinen luziden Schilderungen menschlichen Unglücks nahtlos an ihr vor 20 Jahren erschienenes großartiges Debüt „Seltsame Materie“ an – gleichfalls ein Band mit gut gebauten, gehörige Sogkraft entfaltenden Erzählungen, von denen einige lange in Erinnerung blieben.

Mag sein, dass Terézia Mora von der den Büchnerpreis vergebenen Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in erster Linie für ihre bislang drei Romane „Alle Tage“ (2004), „Der einzige Mann auf dem Kontinent“ (2009) und „Das Ungeheuer“ (2013) ausgezeichnet worden ist – dass ihre Erzählungen jedoch alles andere als nur literarisches Beiwerk sind, zeigt wohl kein Text nachdrücklicher als der letzte in „Die Liebe unter Aliens“. Wie Mora uns in dieser 30-seitigen Erzählung mit dem Titel „Das Geschenk oder: Die Göttin der Barmherzigkeit zieht um“ am Beispiel eines emeritierten japanischen Literaturwissenschaftllers zu erbarmen weiß (und uns nebenbei zu erkennen gibt, dass es nie zu spät ist, das Leben zu entdecken), das ist schlicht famos.

Ein in der Schaufensterauslage einer Berliner Reinigung drapiertes Holztäfelchen, wie man sie in Japan in buddhistischen Tempeln zu Tausenden verkauft, krempelt darin auf einmal Masahiko Satos ereignisarmes, wohlgeordnetes Leben um. Sato, der sich immer nur seiner Arbeit gewidmet und mit seiner Frau – einer japanischen Übersetzerin, wegen derer es ihn dereinst nach Berlin verschlagen hat – in zwar routinierter, aber nicht gänzlich erkalteter Zweisamkeit gelebt hat, findet durch das Täfelchen zu sich selbst (und seinen jahrelang gekappten Empfindungen).

Eine kühne Erzählkonstruktion, die Mora mit der größten Selbstverständlichkeit ausspielen kann, weil dieses simple Götterbildnis ihm ein Tor aufstößt in sein verloren geglaubtes Leben. „Als würde zusammen mit dem Bild eine Portion Zuspruch (Oder eher: Hoffnung? Oder gar: Glück?) über seine Pupillen in sein Gehirn geschossen und von dort aus überallhin im Körper verteilt, bis in die erzitternden Fingerspitzen hinein. (Freude und Erschrecken.)“ Fast zwanghaft sucht Sato fortan jeden Tag die Auslage der Reinigung auf, nimmt nach Jahren erstmals die Straßen um seine Wohnung war, reist nach Japan, um dort nach Erinnerungen zu suchen und verliebt sich in die japanische Betreiberin der Reinigung, ohne je mehr als ein paar Sätze mit ihr gewechselt zu haben. Ein anrührendes, feines Stück Prosa, das in seiner Erzählweise auf hinreißende Weise kongenial die japanische Zurückhaltung seiner Hauptfigur spiegelt.

Nicht alle Erzählungen des Bandes sind gleichermaßen gelungen. Einige (etwa „Ella Lamb in Mulligar“ über eine junge Fotografin oder „À la recherche“ über eine in London zwanghafte Spaziergänge unternehmende Stipendiatin) überstapazieren das nahezu aller Erzählungen durchziehende erzählerische Grundmotiv Moras: die nach Kräften im Zaum gehaltene Haltlosigkeit ihrer bereits in frühen Jahren vom Leben gehörig desillusionierten Figuren. Vier Texte in „Die Liebe unter Aliens“ sind dabei spiegelbildlich verknüpft: Während die Titelfigur in „Ella Lamb in Mulligar“ eine getrennt von ihrem (bei ihren Eltern aufwachsenden) Sohn lebende junge Frau ist, skizziert „Perpetuum mobile“ umgekehrt das Los eines von seinem Sohn getrennten Vaters. Vor vier Jahren gab die Mutter des Kindes ihm den Laufpass. Doch noch immer gärt „heißer, saurer Hass“ in ihm und verhindert, wieder „Vertrauen zu jemandem zu fassen“.

Dass auch Zweisamkeit nicht unbedingt schützt vor den Verletzungen, die das Leben bereithält, verhandelt Mora zum einen in der fast kriminalistisch endenden Titelerzählung, die die heillose Teenagerbeziehung zwischen dem zerbrechlichen Kochlehrling Tim und seiner verschlagenen Freundin Sandy aufdröselt. Und zum anderen in ihrem Porträt eines jungen Künstlerpaares („Selbstporträt mit Geschirrtuch“), das als Teil einer Gruppe Illegaler in einer namenlosen Stadt von der Hand in den Mund lebt und dessen Beziehung einer Notgemeinschaft gleicht, die dann auch körperliche Symptome zeitigt.

Die Raffinesse von Moras Erzählungen gründet nicht zuletzt in subtilen Brüchen ihrer Erzählperspektiven. Während sie mitunter nur für die Dauer eines einzigen Satzes von der Er- in die Ich-Perspektive übergeht, nutzt sie umso konsequenter Paranthesen als wesentliches Stilmittel – mal, um die ratternden Gedanken ihrer Figuren einzufangen, mal um damit situativ plastische Unmittelbarkeit zu erreichen. Das Entwurzeltsein der Charaktere symbolisiert sich somit notorisch im Verschieben der Perspektiven. Dazu passt, dass ihr Unterwegssein Ausdruck der Heimatlosigkeit von Moras Figuren ist. Sie findet dafür einen staccatohaften Erzählrhythmus, der mittels kurzer Sätze an Drive gewinnt. Was die Authentizität des Erzählens der deutsch-ungarischen Autorin (1971 in Sopron geboren, seit 1990 in Berlin lebend) dabei noch steigert, sind vereinzelt abrupt eingebaute Fragen eines imaginären Zuhörers. Dass Mora ihre Widerhaken sehr sparsam setzt, sichert umso mehr die Intensität von deren Wirkung.

Terézia Mora: Die Liebe unter Aliens. Erzählungen. Luchterhand, 268 S., 17,99 €
Lesung und Gespräch mit Terézia Mora morgen (20 Uhr) im Saarbrücker Filmhaus (auf Einladung der Heinrich Böll Stiftung Saar und in Kooperation mit SR2KulturRadio und der Buchhandlung St. Johann).

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