Mindestlohn fördert Schwarzarbeit

Tübingen · Fast vier Millionen Menschen in Deutschland sollen vom Mindestlohn profitieren. Einer Prognose zufolge begünstigt er aber noch etwas anderes: die Schattenwirtschaft. Deren Rückgang könne 2015 gestoppt werden.

Seit Januar gilt der Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde. Davon allerdings profitieren einer aktuellen Studie zufolge nicht nur die Arbeitnehmer, sondern auch die Schattenwirtschaft . Die würde in diesem Jahr erstmals seit mehreren Jahren nicht zurückgehen, sondern sogar wieder zulegen, erwarten die Forscher des Tübinger Instituts für Angewandte Wirtschaftsforschung (IAW) und der Universität Linz. Alleine der Mindestlohn würde bei der Schattenwirtschaft einen Zuwachs von 1,2 Milliarden Euro bringen. Doch neben der Mindestlohn-Regelung nennen die Forscher zahlreiche weitere Beschlüsse der großen Koalition als Grund dafür, dass Arbeitnehmer den Weg in die Schattenwirtschaft wählen. Darunter die ausgebliebene Kürzung der Rentenbeiträge, die geplante Erhöhung des Beitrags zur Pflegeversicherung und vor allem die kalte Progression.

Während es beim Mindestlohn vor allem darum geht, diesen durch Schwarzarbeit einfach zu umgehen, nennen die Forscher die wachsende Spanne zwischen Brutto und Netto als Hauptgrund, in die Parallelwirtschaft auszuweichen. Unter Schattenwirtschaft versteht man sowohl Schwarzarbeit als auch illegale Beschäftigung und kriminelle Aktivitäten wie Hehlerei und Betrug. Der Studie zufolge ist die Schattenwirtschaft seit 2003 - mit Ausnahme des Krisenjahrs 2009 - kontinuierlich zurückgegangen. 2014 ist sie demnach um rund zwei Milliarden auf 338,4 Milliarden gesunken und macht 12,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. In ihrer Studie gehen die Forscher davon aus, dass die Beschlüsse der großen Koalition nun einen jährlichen Anstieg von 8,3 Milliarden Euro zur Folge haben werden.

Annelie Buntenbach, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), warnt davor, den Mindestlohn vorschnell als Sündenbock heranzuziehen: "Übersehen wird die starke ordnungspolitische Funktion des Mindestlohns", sagt sie. "Das Argument Schwarzarbeit wird immer wieder missbraucht, um gegen Steuern, Sozialabgaben und höhere Löhne zu polemisieren, dabei ist der Zusammenhang keinesfalls eindeutig." Mit Blick auf andere Länder steht die Bundesrepublik aber nicht schlecht da: Im Vergleich zu anderen Mitgliedern der Industriestaatenorganisation OECD liegt Deutschland mit seiner Schattenwirtschaft im Mittelfeld. Düsterer sieht es in den Krisenländern Griechenland, Italien, Portugal und Spanien aus. Hier liegt der Anteil der Schattenwirtschaft an der Wirtschaftsleistung zwischen 18 und 22 Prozent.

Meinung:

Im sozialen Schatten

Von SZ-KorrespondentStefan Vetter

Es ist schon erstaunlich: Kaum ist der Mindestlohn in Deutschland in Kraft, wissen vorgeblich seriöse Wirtschaftswissenschaftler schon genau, dass die Lohnuntergrenze von 8,50 Euro zu zusätzlicher Schwarzarbeit im Umfang von 1,2 Milliarden Euro führen wird. Ein Schelm, wer da an eine Gefälligkeitsarbeit zugunsten aller Mindestlohn-Gegner denkt.

Fest steht, dass der Arbeitslohn nicht nur eine wirtschaftliche, sondern eine soziale Funktion hat. Seit der Jahrtausendwende ist die Bezahlung in manchen Branchen immer stärker auf Dumpingniveau gesunken. Deshalb war eine Auffanglinie überfällig.

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