Eine mit Eigen-Sinn

Saarbrücken. Wer sie besucht, kommt zu ihr ins "E-Haus". E steht für Elektronik. Passender kann die Adresse für eine Künstlerin nicht sein, die ihrem Publikum bevorzugt Kopfhörer aufsetzt. Christina Kubisch (61) lehrt Plastik und Audiovisuelle Kunst an der Saar-Kunsthochschule (HBK), ist, man darf diese Begrifflichkeit wählen, eine internationale Größe in ihrem Fach

Saarbrücken. Wer sie besucht, kommt zu ihr ins "E-Haus". E steht für Elektronik. Passender kann die Adresse für eine Künstlerin nicht sein, die ihrem Publikum bevorzugt Kopfhörer aufsetzt. Christina Kubisch (61) lehrt Plastik und Audiovisuelle Kunst an der Saar-Kunsthochschule (HBK), ist, man darf diese Begrifflichkeit wählen, eine internationale Größe in ihrem Fach.

Kubischs HBK-Besprechungszimmer liegt exakt vis à vis von "ihrem" Tonstudio. Hier materialisiert sich ihre Aufbauarbeit für die HBK. Unübersehbar stolz führt Kubisch, die ansonsten sympathisch Bescheidene, durch das professionell eingerichtete Arbeits-Umfeld mit Fotolabor und Video-Schnitt-Räumen. Als Kubisch 1994 an die HBK kam, gab es das alles nicht. Der Zweig "Medienkunst" - mitvertreten durch Ulrike Rosenbach - genoss zwar Avantgarde-Status, war aber noch nicht wirklich durchgesetzt. Heute, erzählt sie, kann sich dieser Fachbereich kaum vor Anmeldungen retten. Denn die Videokunst hat sich als Standard-Disziplin auf dem Kunstmarkt etabliert. Und Computer-Technik ist nicht nur in, sie ist bereits so sehr Alltag, dass Kubisch ihren Studenten heute das nicht-technische Denken beibringen muss, das Ablösen der Kreativität vom rein Machbaren.

Kubisch verarbeitet Immaterielles - Klänge und Licht und Zeit - zu magischen Raumbildern, wie beispielsweise im Gasometer in Oberhausen, dem sie eine großartige Himmels-Kuppel mit Sphären-Klängen geschenkt hat, als sei der Metall-Zylinder ein außerirdischer Dom. Kubisch mag es, wenn sie Menschen ein wenig durcheinander bringt, ihnen dadurch die Chance gibt, eine "Eigen-Zeit" zu erleben, weil sich ihre Sinne neu justieren. Mit ihren "Electrical Walks" beispielsweise: Die Geräusche, die Menschen bei Stadt-Spaziergängen über Kopfhörer hören, übermitteln ihnen ein gänzlich anderes als das visuelle Bild. Das irritiert - bis zur Beängstigung.

In Ruinen aufgewachsen

Viele Kritiker nähern sich Kubischs Werk mit den Vokabeln "poetisch", "filigran", "erhaben", "kontemplativ". Für die Ludwigskirche hat sie 1994 eine Installation geschaffen. Ihr ein Faible für das Sakrale, das Metaphysische, zu unterstellen, wäre zu einfach. "Alle nicht besetzten Räume ziehen mich an", sagt sie. Intuition spiele eine große Rolle. Als typisches Nachkriegskind sei sie in Ruinen aufgewachsen, habe Leere, Verlassenheit und Ruhe inhaliert. Und vielleicht gebe es ja auch eine "unlogische, romantische Seite" in ihr. Gewiss. Der Maler der Versonnenheit, C. D. Friedrich, taucht als Bezugspunkt in Katalogtexten auf. Dabei kommt Kubisch wahrlich aus einer wilderen, der "Fluxus"-Ecke, schaffte es zur Documenta, zur Biennale. Sie, deren Kunst heute so viel Sublimität atmet, war eine, die bei ihren ersten Performance-Auftritten mit Pelz- oder Box-Handschuhen Flöte spielte. Jugend-Exaltiertheiten? Ein Wesenskern: "Ich glaube, dass ich innerlich ziemlich schräg bin."

Originalität und Unkonventionalität hält Kubisch gut getarnt hinter der Disziplin und dem Organisations-Talent, die eine Workaholic-Existenz erfordern. Aufträge aus Tokyo, Seoul oder Mexiko City machen Reisen zu einem Lebenszustand, nicht zuletzt auch das Pendeln zwischen ihrer ländlichen Existenz in Berlin-Hoppegarten und den Saarbrücker Lehr-Tagen. Wie steht diese schmale Person das durch? "Ich kann gut delegieren. Ich vertraue anderen gerne, man wird dadurch inspiriert." Das spart zweifelsohne Kraft, die sie für ihren "Eigen-Sinn" braucht. Das "Dranbleiben", das Konsequenz-Bewahren, auch wenn man gerade mal nicht in die Trend-Zyklen des Kunstbetriebes passt, genau dies, sagt Kubisch, habe sie dorthin gebracht, wo sie heute ist. Ziemlich weit oben. Aber nicht allein. Die "Pionierin der Klangkunst" hat sich den Rang einer Autorität für die nächste Generation erarbeitet. Ihre Schüler - die Giegolds oder Brackes - wuchsen zu Kollegen auf Augenhöhe. Ausdrücklich auch dafür erhält sie den Medienkunstpreis des SR. Preisverleihung heute, 19.30 Uhr, HBK (Kepplerstr.).

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