Die Liebe und die Wende

Wie ein junges Liebespaar sich um die Wendezeit aus den Augen verliert und dennoch im Herzen behält, davon erzählt Gregor Sander in seinem neuen Roman „Was gewesen wäre“. Morgen liest er aus dem Buch in Saarbrücken.

Neubrandenburg im Sommer 1987. Astrid und Jana, beide 17, fahren zu einem Sommerfest der Berliner Bohème an einem Forsthaus in der mecklenburgischen Provinz. Jana kennt den Gastgeber Julius, hat mit ihm geschlafen, "einmal nur, der ist verdreht. Der ist was für dich. Wirst schon sehen", prophezeit sie. Zu später Stunde verschwindet Jana mit einem der Gäste im Wald, Astrid vergnügt sich mit Julius, dem Sohn des Hauses. Der 19-Jährige spielt in einer Punkband, die Mutter Katharina ist eine freigeistige Künstlerin mit Ausstellungsverbot. Der Vater hat sich 1967 in den Westen abgesetzt.

Eine geteilte Familie am Vorabend der Wende. Die erste große Liebe eines ungleichen Paares - davon handelt Gregor Sanders Liebesroman, der schlicht und dennoch plastisch mit einem feinen Gespür für Details erzählt. Das Besondere: Sander verwebt - streng in Kapitel unterteilt - zwei Zeit- und Bewusstseins-Ebenen miteinander. Auf der ersten Ebene vergegenwärtigt sich Astrid als Ich-Erzählerin die Geschichte ihrer ersten großen Liebe mit Julius. Man liebte sich, trennte sich scheinbar, um sich dann offenbar wieder zu lieben, wenn sich die Gelegenheit ergab. Die zweite Ebene ist in der Gegenwart angesiedelt, 25 Jahre nach dem Sommerfest. Astrid lebt in Berlin, wo sie als Kardiologin arbeitet. Julius hat sie seit Jahren nicht mehr gesehen. Sie ist geschiedene Mutter zweier Kinder und hat einen neuen Freund, einen Wessi namens Paul. Der hat sie nach Budapest ins Hotel Gellért eingeladen, um mehr über ihre Ostvergangenheit zu erfahren. Dafür hat er eigens ein unrenoviertes Zimmer angemietet. Doch das ostalgische Ambiente setzt zunächst keine Erinnerungsschübe in Gang. Erst als Astrid einen Mann im Restaurant des Hotels erblickt, holt die verdrängte Vergangenheit sie ein.

"Was gewesen wäre" erzählt viele kleine deutsch-deutsche Geschichten anhand einer Liebesgeschichte. Dass Privates und Politisches zu DDR-Zeiten nicht voneinander zu trennen waren, stellt der Roman klar heraus. Aber nicht indem er die Fluchtbewegungen der Akteure verurteilt, sondern ihre Motive genau beschreibt und mit ihren Gefühlen verbindet.

Gregor Sander: Was gewesen wäre. Wallstein Verlag, 236 Seiten, 19,90 Euro. Morgen liest Gregor Sander um 20 Uhr im Saarbrücker Filmhaus.

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