Der höhere Ernst der Kasperles

Saarbrücken. In seiner Vorrede zu "Mann ist Mann" schrieb Brecht 1927, ein Jahr nach der Uraufführung, die Hauptfigur sei "gar kein Schwächling, im Gegenteil, er ist der Stärkste. (. . .) allerdings erst (. . .) nachdem er aufgehört hat, eine Privatperson zu sein, er wird erst in der Masse stark." Daraus sprach viel sozialistische Utopie

Saarbrücken. In seiner Vorrede zu "Mann ist Mann" schrieb Brecht 1927, ein Jahr nach der Uraufführung, die Hauptfigur sei "gar kein Schwächling, im Gegenteil, er ist der Stärkste. (. . .) allerdings erst (. . .) nachdem er aufgehört hat, eine Privatperson zu sein, er wird erst in der Masse stark." Daraus sprach viel sozialistische Utopie. Vier Jahre später schon warfen sich die Massen dem Faschismus an den Hals, frisierte Brecht seinen Galy Gay zur skrupellosen Kriegsmaschine um, der "neuen Zeit" ihre Fratze vorhaltend.

Ummontieren lässt sich Galy Gay bereits im Stück. Als eine vierköpfige MG-Abteilung der britischen Kolonialarmee den Opferstock einer Pagode stiehlt, muss sie ihren vierten Mann, Jeraiah Jip, zurücklassen. Um nicht aufzufliegen, ködern Uriah, Jesse und Polly, den korrumpierbaren Galy Gay mit einem Geschäft als Jip-Ersatz. Merten Schroedter gibt ihm mehr als ein Gesicht. Von weichem Gemüt, wird er, der einfältige Packer, der nur einen Fisch für seine Frau kaufen wollte, über Nacht zum mordenden Soldaten. "Es kommt nur darauf an in der Welt, dass man (. . .) so ist, wie die Leute einen haben wollen", begreift er schnell das kleine Einmaleins des Opportunismus. Die Verwandlung gelingt: "Mann ist Mann." Und alle käuflich. Galy Gay genauso wie der Mönch in der Pagode (Pit-Jan Lößer, assistiert von Melanie Sass), der den echten Jip als Geisel nimmt, auf dass die Gläubigen einen Gott in ihm sehen, dem sie opfern; die Soldaten (mit Ruhm und Bier) genauso wie die Witwe Begbick, der jede Intrige recht ist, um ihren Bierwaggon am Laufen zu halten.

In der Alten Feuerwache entwickelt Regisseur Christoph Diem aus Bertold Brechts Stück einen Abend der untergründigen, der nicht aufgelösten Widersprüche. Obschon permanent an die Grenze zur Groteske gerückt, karikiert Diem nicht plump Plot und Figuren, sondern setzt auf Gegensätze und Zwischentöne. Vordergründig bietet er zwar - befeuert von Paul Dessaus Musik (Leitung: Achim Schneider) ein Kasperletheater, in dem die Verwicklung regiert und Tumbheit Purzelbäume schlägt, dahinter aber haust der Ernst. Auf der Bühne erleben wir nur Anklänge davon. Das genügt. Der Rest ist Zuschauersache. Eine Arbeitsteilung, die aufgeht, weil die Regie das in diesem frühen Stück schon angelegte Epische Theater Brechts auf ihre Weise nutzt. Wenn die Figuren innehalten im ihnen den Kopf verdrehenden Situationenkarussell, wird in ein, zwei Sätzen Grundsätzliches verhandelt: der Verlust von Individualität, der Mythos von der personellen Identität, Verführbarkeit durch Besitz, Effekte des Konformitätsdrucks.

Wichtigstes Requisit der mit dem Nötigsten auskommenden Bühne von Isabelle Kittnar, in Brecht-Manier von Technikern nebenbei umgebaut, ist ein Steg, der genügend Raum zu Abstürzen lässt. Auf ihm agieren Galy Gay & Co nach dem Prinzip "Erinnere dich doch nicht eines Dinges länger, als es dauert". Einer ist keiner - auch, weil man immer ein anderer ist. Umso mehr, wenn "von den sicheren Dingen das Sicherste der Zweifel" ist. Während Galy Gay symbolisch erschossen wird, um (unbehelligt vom alten Ich) nur noch Soldat zu sein, verläuft die Paralleldemontage im Falle des Sergeanten Fairchild (Klaus Meininger gibt die "Große Kanone" als Schießbudenfigur) umgekehrt vom Militär zum Zivilisten. Und sind nicht die Soldaten - was für ein spielfreudiger Haufen: Andreas Anke (Uria), Johannes Quester (Jesse), Georg Mitterstieler (Polly), Boris Pietsch (Jeraiah) - manchmal zartbesaiteter, ja menschlicher als die berechnende Begbick (Saskia Petzold)? An subtilen Verweisen und Bezügen fehlt es dieser erst verhalten, dann ausdauernd beklatschten Inszenierung (und nicht zuletzt der Vorlage) nicht.

Wieder am 24. und 27.11., 2.,5., 10., 12., 15., 17. und 20.12.

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