Das Pingpong mit der Prozent-Hürde

Karlsruhe · Der juristische Streit um die Europawahl gleicht einem ausgedehnten Pingpong-Spiel: Nach der Europawahl 2009 hatten Wähler wegen der damals geltenden Fünf-Prozent-Hürde Beschwerden beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Die Richter des zweiten Senats erklärten die Sperrklausel für verfassungswidrig – und spielten damit den Ball in Richtung Bundestag, denn die Details der Europawahl darf jeder Mitgliedstaat selbst regeln.

Das deutsche Gesetz musste also geändert werden, und das Parlament hielt den Ball im Spiel: Die Abgeordneten legten eine neue Hürde fest, diesmal bei drei Prozent. Und tatsächlich dauerte es nicht lange, bis der Ball wieder beim Verfassungsgericht landete.

Zur Klage von insgesamt 19 Gruppierungen, von der Piratenpartei über Freie Wähler und Graue Panther bis zur rechtsextremen NPD, wird heute das Urteil verkündet. Es ist davon auszugehen, dass Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle dabei zu einem druckvollen Schmetterball ausholen wird, der das muntere Hin und Her fürs Erste beendet. Schon die Terminlage spricht dafür: Die Europawahl findet in Deutschland am 25. Mai statt, und für einen weiteren Klage-Umlauf fehlt schlicht die Zeit.

Was also wird rauskommen? Gewichtige Stimmen hatten sich bei der mündlichen Verhandlung im Dezember für den Erhalt der Klausel ausgesprochen, unter anderem EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD). Dennoch brach der Justiziar der Unionsfraktion im Bundestag, Helmut Brandt (CDU), mit der ungeschriebenen Regel, wonach alle Beteiligten nach außen Optimismus in eigener Sache demonstrieren: Im Magazin "Der Spiegel" zeigte er sich skeptisch, ob die der von seiner Partei mitgetragene Drei-Prozent-Hürde erhalten bleibt. Zuversichtlich hingegen gibt sich der Chef der Piratenpartei, Thorsten Wirth. Er sei sich ganz sicher, dass Karlsruhe die Regelung kippen werde - auch wenn "die Piratenpartei das nicht nötig hätte", erklärte er. Aus seiner Sicht muss das Europaparlament in diesem Fall nicht fürchten, handlungsunfähig zu werden. "Auch kleinere Parteien schließen sich Fraktionen an", gibt Wirth zu bedenken. Nach den Berechnungen des Bundeswahlleiters wären 2009 ohne die damalige Fünf-Prozent-Klausel sieben weitere Gruppierungen aus Deutschland ins Europäische Parlament eingezogen: Freie Wähler, Republikaner, Tierschutzpartei, Familien-Partei, Piraten, Rentner-Partei und Ökologisch-Demokratische Partei.

Ein kompletter Wegfall der Klausel könnte den kleinen Parteien zusätzlich Auftrieb geben. Grund ist der "Kippschalter-Effekt": Sperrklauseln halten Wähler von vermeintlich chancenlosen Parteien ab. Umgekehrt wird eine Gruppierung für viele erst richtig wählbar, wenn die Aussicht besteht, dass sie es ins Parlament schafft. Hinzu kommt die ohnehin geringere Wahlbeteiligung bei Europawahlen: Sie begünstigeKleinparteien, weil die ihre Anhänger besser mobilisieren können, meint der Göttinger Parteienforscher Stephan Klecha.

Um die Funktionsfähigkeit des Europäischen Parlaments sorgt auch er sich nicht. Denn sie hänge ja nicht davon ab, ob Deutschland ein paar Parteien mehr nach Straßburg und Brüssel entsendet. Viel wichtiger sei, sagt Klecha, wie sich das Parlament organisiert. Aus seiner Sicht herrscht im Europaparlament "faktisch eine große Koalition". Und die werde sich sogar verfestigen, wenn an den Rändern mehr Parteien ins Parlament einziehen.

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