Das Herantasten des Pianisten

Saarbrücken. Ein Gespräch mit ihm überspannt rasch mal den Klavierkosmos des 20. Jahrhunderts: Gieseking, Backhaus, Cortot. Für Jean Micault, selbst gerühmter Pianist und Klavierpädagoge, sind es nicht bloß Namen. Er kannte auch die Menschen neben dem Konzertpodium

Saarbrücken. Ein Gespräch mit ihm überspannt rasch mal den Klavierkosmos des 20. Jahrhunderts: Gieseking, Backhaus, Cortot. Für Jean Micault, selbst gerühmter Pianist und Klavierpädagoge, sind es nicht bloß Namen. Er kannte auch die Menschen neben dem Konzertpodium. Bei Alfred Cortot, dem Großkritiker Joachim Kaiser mal die eigentlich konkurrierenden und darum umso bedeutenderen Eigenschaften "feinsinnig und delikat" sowie "stürmisch und frei" zuschrieb, war Micault zunächst Schüler, später Assistent. Zwölf Jahre lang.

Vieles nahm er von ihm mit, auch Micaults Ruf als ausgezeichneter Chopin-Interpret begründete sich in dieser Zeit. "Dabei hat ihm mein Chopin-Spiel zu Beginn überhaupt nicht gefallen", erinnert sich Micault mit einem Lachen. Im Laufe der Jahre aber eignete sich Micault dann viel von Cortot an. Gleichwohl seine Liebe zu Beethoven ("ein großer Denker, seine Musik ist für die ganze Welt") vielleicht noch tiefer reicht als zu Chopin.

Auch hier hatte Micault bei Wilhelm Backhaus, einem der wohl besten Beethoven-Interpreten überhaupt, Unterricht. Der lobte zwar sein Spiel von Bach und Beethoven, wunderte sich gleichwohl, dass der Pariser Micault keinen rechten Zugang zu den delikaten Klavierkompositionen seiner Landsmänner hatte. Und, so erstaunlich sind eben gelegentlich Lebensbahnen, ausgerechnet auf jenen Lehrstuhl an der Saarbrücker Musikhochschule kam Micault 1979, den einst Walter Gieseking dort innehatte. "Für mich war er der erste bedeutende Pianist, den ich kannte", erinnert sich Jean Micault. Stets beeindruckte ihn "der Klang" des Deutschen, wurde ihm Vorbild.

Grauer Anzug, weißer Rollkragenpullover: Ein feines Lächeln begleitet fast jedes von Micaults Worten. Die häufig benutzte Vokabel vom Grandseigneur, hier trifft sie. Trotz oder gerade ob seiner reichen Erfahrung hört er ebenso intensiv zu wie er selbst spricht. Dabei hat er so unendlich viel zu sagen. Über das Klavierspiel, seine Technik, über das, was er wohl seinen an die 1000 Schülern, davon etliche in der Region, weitergab, über die Begegnungen mit den Großen, den Talenten, aber auch den Scheiternden. Und man kann nur hoffen, dass sich Micault doch noch daran macht, seine Biographie zu schreiben. Das, was er schon geschrieben hatte, hat er verworfen. Er lacht: "Ich habe geschrieben, wie ich in jungen Jahren gespielt habe, wild, ungestüm." Vielleicht hätte man eben das gerne gelesen. Nun, ein zweiter Anlauf soll folgen.

Dann könnte es auch ein Buch werden, über einen großen Pianisten, der Alter und Krankheit zum Trotz wieder zu seinem Instrument zurückfindet. Nach einer schweren Operation und weiteren ernsten Erkrankungen wollte Micault vor ein paar Jahren gar nicht mehr spielen. Doch seine Frau, die Sopranistin Claudie Verhaeghe-Micault, und Thomas Kitzig, der Leiter der Saarbrücker Musikschule, ermunterten ihn immer wieder. Und so tastete sich Micault wieder heran. Nein, kein verbissener Kampf, das würde zu dem 85-Jährigen nicht passen. "Eher ist es für mich ein Experiment. Ich will wissen, was noch geht", sagt Micault. Mit jugendlichem Forschergeist beobachtet er sich selbst dabei, welche Fortschritte er macht. Fast als ob der Meister wieder Schüler wäre.

Nicht mehr Virtuosität ist das Ziel, sondern Klang. So freut es ihn, dass er nach Jahren nun wieder am 13. Januar ein Konzert geben kann. Seite an Seite mit früheren Schülern und seiner Frau. Ein Gedanke, den Jean Micault gerne fortspinnen möchte: "Ich hatte so viele Schüler. Es wäre schön, wenn ich gemeinsam mit ihnen auftreten könnte."

Konzert: 13. Januar, 19 Uhr, Konzertsaal der Saarbrücker Hochschule für Musik. Mit Jean Micault, Thomas Betz, Marlo Thinnes, Pierre Etcheverry und Claudie Verhaeghe-Micault. Kartenreservierung: konzertkarten@hfm.saarland.de.

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