Vom Kino in den Bunker

Jerusalem · Am Sonntag ist in Jerusalem das 31. Internationale Filmfestival zu Ende gegangen. Die Eröffnung war wegen eines Raketenangriffs ausgefallen, danach lief das Festival nach Plan. Aber nicht jeder hat die Idee begrüßt, die Filmschau während der kriegerischen Auseinandersetzungen weiterlaufen zu lassen.

 Eine Szene aus dem Film „Princess“ von Tali Shalom Ezer. Foto: Cinematek Jerusalem

Eine Szene aus dem Film „Princess“ von Tali Shalom Ezer. Foto: Cinematek Jerusalem

Foto: Cinematek Jerusalem

Mit einem Raketenangriff begann es, das 31. Internationale Filmfestival der Jerusalemer Cinematek (10. bis 20. Juli) - just vor der ersten Vorführung. Während vier Hamas-Geschosse vom "Iron Dome " über der Hauptstadt abgefangen wurden, saßen die Festival-Besucher im Bunker. Minuten später dann herrschte so etwas wie trotzige Euphorie, nach dem Motto: "Wir lassen uns das Fest nicht zerstören !" Die Eröffnungs-Gala im 7000 Menschen fassenden Freiluft-Theater "Sultan's Pool" verschob die Polizei zunächst um eine Woche - die Gala blieb am Ende dann ebenso aus wie der Waffenstillstand.

Alles andere lief nach Plan. Es gab mehr als 200 Streifen aus 50 Ländern: Spielfilme, Dokus, Kurz-, Video-und Animationsfilme, in sechs Sälen, von morgens bis nach Mitternacht. Die Besucherquote aber war sichtbar niedriger als sonst. Viele wollten die Nähe von hauseigenen Bunkern nicht missen. Eltern von 70 000 rasch eingezogenen Reservisten stand der Sinn nicht nach Kino. Nur wenige Tel Aviver Filmfans unter Raketengefahr wagten den Weg in die Hauptstadt. Es war ohnehin umstritten, das Festival zu veranstalten, während Mitbürger im Süden des Landes fast pausenlos in Bunkern saßen. Das Konzept "Das Leben muss weitergehn" teilten nicht alle.

Jeden Abend trafen sich im Garten der Cinematek Regisseure , Schauspieler, Filmstudenten, Rezensenten und ausländische Ehrengäste bei Häppchen und Wein. Es wurde gelobt, kritisiert, debattiert und nebenbei die Lage besprochen. "Vor dem Flug hatte ich Sorge, in ein Kriegsgebiet zu reisen", gestand der Hamburger Filmkritiker Michael Ranze. "Dass es so gelassen zugeht, wundert mich sehr." Zu den Gästen, die das Risiko nicht gescheut hatten, gehörten die Schauspielerin Martina Gedeck und der Regisseur Michael Verhoeven aus Deutschland, aus den USA die Regisseure David Mamet und Spike Jonze sowie Park chan-Wook aus Korea. Abgesagt hatte der österreichische Regisseur Ulrich Seidl.

Thematisch ging es in den acht neuen Spielfilmen hauptsächlich um schwierige Verhältnisse und Beziehungen. "Red Leaves" etwa, das Debut des äthiopischstämmigen Filmemachers Bazi Gete, erzählt von der gestörten Kommunikation zwischen betagten Einwanderern aus Afrika und den in Israel geborenen Kindern. "Gett" (hebräisch für Scheidung ) von Shlomi und Ronit Elkabetz lässt die Zuschauer an einem quälenden, fünf Jahre dauernden Scheidungsprozess vor dem Rabbinatsgericht teilhaben: Nach jüdischem Gesetz werden Frauen in ehelichen Ketten gehalten, solange der Mann der Scheidung nicht zustimmt.

In "Ben-Zaken" von Efrat Corem scheitert der alleinerziehende, arbeitslose Vater einer elfjährigen Tochter in einer trostlosen Einwandererstadt daran, seinem Kind eine bessere Zukunft zu bieten. Tali Shalom Ezer folgt in "Princess" der auf gefährliche Weise intimer werdenden Beziehung zwischen einer 12-Jährigen und ihrem Stiefvater. In "That lovely girl" von Keren Yedaya entwickelt sich ein gewalttätiges Verhältnis zwischen dem Mittfünfziger Moshe und der 20-jährigen Tami - Vater und Tochter.

Während Inzest und Pädophilie, in Israel meist totgeschwiegene Themen, im Film erstmals zur Sprache kamen, blieb der Nahostkonflikt filmisch fast vollständig ausgeblendet. Da konnte man sich zeitweilig der Illusion hingeben, das Jerusalemer Festival sei die letzte Oase des Friedens in einer kriegerischen Region.

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